Interview mit Kamome Shirahama – Mangaka hinter „Atelier of Witch Hat – Das Geheimnis der Hexen“
Im Rahmen des Besuches der Mangaka von Atelier of Witch Hat – Das Geheimnis der Hexen (jap.: Tongari Boushi no Atelier), Kamome Shirahama, auf der Manga-Comic-Con 2025 durften wir ein Interview mit dieser führen. Dabei waren unter anderem ihre Inspirationen und die Entstehung des Werkes Thema.
Wir möchten uns sowohl bei Egmont Manga für die Gelegenheit als auch bei dem japanischen Verlag Kodansha, der das Interview genehmigt hat, herzlich bedanken. Unser großer Dank für die Beantwortung der Fragen und die damit verbundene Zeit gilt zudem Mangaka Kamome Shirahama selbst. Nachfolgend werden wir uns mit MP abkürzen.
MP: Liebe Shirahama-sensei, es ist uns eine Ehre, dass Sie sich heute Zeit für das Interview mit uns nehmen.
Shirahama-sensei: Vielen Dank auch.
MP: Es ist nicht Ihr erstes Mal, dass Sie in Deutschland sind. Was sind Ihre Eindrücke dieses Mal? Konnten Sie gegebenenfalls schon etwas Neues entdecken?
Shirahama-sensei: Das ist mein zweites Mal in Deutschland. Das erste Mal war ich privat in München. Deswegen war es noch mal etwas ganz anderes. In Leipzig bin ich erst gestern angekommen, aber ein paar Dinge konnte ich tatsächlich schon sehen und viele Inspirationen bekommen. Leipzig ist eine sehr schöne Stadt.
MP: Könnten Sie uns erzählen, wie Sie Mangaka geworden sind und wie es danach zu Atelier of Witch Hat gekommen ist? Hatten Sie Vorbilder?
Shirahama-sensei: Zuerst habe ich auf Conventions Manga im Eigenverlag herausgebracht. Dadurch wurden dann Verlage auf mich aufmerksam und ich wurde von der Redaktion angesprochen, ob ich nicht vielleicht ein paar Illustrationen zeichnen könnte. Am Anfang habe ich nur Illustrationen gezeichnet, bis dann ein Angebot für einen Manga kam. Das habe ich dankbar angenommen.
Ich mochte Fantasy schon immer sehr gerne und habe überlegt, einen Manga mit Magie zu zeichnen. Ich habe mit einem befreundeten Illustrator darüber gesprochen, dass ein Bild zu zeichnen im Prinzip wie Magie ist. Und diese Idee habe ich dann weiterverfolgt, sodass ich darauf kam, dass man durch das Zeichnen selbst Magie erschaffen könnte. So entstand die Idee zu Atelier of Witch Hat.
MP: Wie würden Sie neuen Lesern und Leserinnen, die jetzt vielleicht gerade durch Ihren Besuch veranlasst werden mit Ihrem Manga anzufangen, die Geschichte beschreiben?
Shirahama-sensei: Ein Mädchen, das sich sehr für Zauberer und Hexen begeistert, erfährt durch Zufall vom Geheimnis der Magie. Daraufhin kommt sie mit einer Welt in Berührung, die eigentlich nur Zauberern und Hexen vorbehalten ist. Aber diese neue Welt eröffnet sich ihr dann und daraus entstehen viele neue Geschichten.
MP: In Atelier of Witch Hat werden Zauber mithilfe von Zauberzirkeln gewirkt. Es scheint, als würden die Lehrlinge ihre eigene Zukunft mithilfe von Tinte zeichnen. Könnten Sie uns vielleicht erklären, wieso Sie sich gerade für diese Umsetzung entschieden haben?
Shirahama-sensei: Mit Tinte etwas zu zeichnen und dadurch den eigenen Gefühlen, die man ausdrücken möchte, Form zu verleihen zu können, fühlte sich für mich als Zeichnerin sehr natürlich an, weil es mein eigenes tägliches Leben widerspiegelt. Deswegen hatte ich das Gefühl, dass das Thema einfach ganz selbstverständlich kam.
MP: Ein Charakter, der vielen Fans weltweit bereits ins Herz gewachsen ist, ist der Pinselwurm. Wie sind Sie auf das kleine, niedliche Wesen gekommen?
Shirahama-sensei: Ich brauchte ein Maskottchen für Atelier of Witch Hat und habe mich dann mit einem Freund beraten. Das Design für den Pinselwurm stammt von diesem Freund, der es für die Reihe zur Verfügung gestellt hat.
MP: Sie sprechen im Manga an, wie die Magie die Natur beeinflusst. Wieso haben Sie sich dafür entschieden, dieses Thema in die Geschichte einzubauen?
Shirahama-sensei: Die Natur ist, was uns alle umgibt und Veränderungen innerhalb der Natur beziehungsweise Zerstörung an der Natur sind ein Thema, vor dem man nicht die Augen verschließen darf. Da ich selbst in der Universität Ökodesign studiert habe, ist es für mich eine Herzensangelegenheit, das Thema mit einzubauen.
MP: Es fühlt sich an, als wäre die Gesellschaft in Atelier of Witch Hat wie unsere in der Realität, denn Sie behandeln viele Probleme wie beispielsweise körperliche Beeinträchtigungen und Diversität in einigen Episoden. Ist die Welt also im übertragenen Sinne eigentlich unsere? Und wie entscheiden Sie, welche gesellschaftlichen Themen Sie aufgreifen?
Shirahama-sensei: Bestimmte gesellschaftliche Probleme und den Umgang damit habe ich mit Absicht eingebaut, weil ich der Meinung bin, dass jedes Werk, was in einer bestimmten Zeit entsteht, auch die Probleme beziehungsweise die Struktur der Gesellschaft in dieser Zeit widerspiegelt. Selbst Science-Fiction-Werke spiegeln meistens die gesellschaftlichen Probleme ihrer Zeit wider, in der sie entstanden sind. Zum Beispiel habe ich Michael Endes Momo gelesen und dort wurden auch bestimmte zeitgenössische Themen aufgegriffen. Deswegen möchte ich die gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen auch auf meine Welten übertragen.
MP: Die Anordnung und Darstellung Ihrer Panels und Doppelseiten ist außerordentlich eindrucksvoll und märchenhaft. Wie gehen Sie bei der Konzeptionierung eines neuen Kapitels vor?
Shirahama-sensei: Ich lese sehr viel und schaue mir zum Beispiel auch gerne Stadtbilder an. Deswegen habe ich einen riesig großen Speicher in meinem Kopf, den ich immer abrufen kann. Wenn ich anfange zu zeichnen, rufe ich diesen ab. Oder ich überlege mir schon im Voraus, für welche Gelegenheiten ich dieses und jenes verwenden könnte. Mein Kopf ist ein riesiger Ideenspeicher.
MP: Ihr Zeichenstil ist ziemlich markant und sticht einem direkt ins Auge. Zeichnen Sie traditionell oder digital?
Shirahama-sensei: Ich zeichne zuerst das komplette Bild analog mit Stift und füge die Graduierung später digital hinzu.
MP: Und in welcher Atmosphäre zeichnen Sie normalerweise? Hören Sie beispielsweise Musik oder schauen Sie eine Serie nebenbei?
Shirahama-sensei: Ich zeichne meistens in einer relativ belebten Atmosphäre. Es laufen nebenbei Animes, Musik, Filme, Youtube oder andere Streaming Services. Tatsächlich telefoniere ich auch oft nebenbei mit anderen befreundeten Mangaka und wir werfen uns dann gegenseitig vor, dass wir lieber arbeiten sollten.
Außerdem lenken mich meine Hunde auch immer gerne ab. Ich habe 2 Hunde und wenn sie der Meinung sind, dass ich Schluss machen sollte mit der Arbeit, dann kommen sie und drücken ihre Schnauze ein bisschen an meinen Unterarm, um anzuzeigen, dass ich mich mit ihnen beschäftigen soll.
MP: Ihr Zeichenstil ist wunderschön und fängt die märchenhafte Atmosphäre wunderbar ein. Wie haben Sie Ihren Stil gefunden?
Shirahama-sensei: In den Fantasyromanen, die ich früher gerne gelesen habe, gab es immer Bilder in relativ altem Stil, zum Beispiel in Alice im Wunderland. Mir waren das immer zu wenig Bilder und ich hätte gerne noch mehrere gesehen. Aber das war in einem Roman nicht möglich. Deswegen habe ich mir gedacht, wenn ich mehr sehen will, muss ich es selber zeichnen.
MP: In Atelier of Witch Hat wird den Lehrlingen geraten, die Magie durch Ausprobieren zu erlernen und sich zu entwickeln. Ist das etwas, das Sie bei Ihrer Arbeit auch beherzigen?
Shirahama-sensei: Ja, das tue ich. Und egal wie professionell man ist, man lernt letztendlich immer noch weiter. Mein Lehrer hat mir beigebracht, dass man sich immer bewusst sein soll, dass man eben noch nicht ausgelernt hat.
MP: Haben Sie vielleicht einen Tipp für angehende Künstler und Künstlerinnen?
Shirahama-sensei: Man sollte für möglichst viele Sachen Interesse entwickeln und sie mögen. Ich interessiere mich beispielsweise sehr für Kleidung und Stoffe und deswegen zeichne ich sie unglaublich gerne. Oder ich zeichne meine beiden Hunde, die ich sehr gerne mag. Wenn man etwas gern zeichnet, dann wird man auch schnell sehr gut darin. Deswegen ist mein Tipp, das eigene Herz zu öffnen und sich für vieles zu interessieren und vieles zu mögen.
MP: Mittlerweile sind in den 13 Bänden von Atelier of Witch Hat schon eine ganze Menge magischer Gerätschaften vorgekommen. Welches würden Sie derzeit gerne selbst haben? Oder wäre es etwas, das bisher noch gar nicht vorgekommen ist?
Shirahama-sensei: Ein Portalfenster wäre fantastisch. Wenn ich von der Arbeit geschafft bin, könnte ich einfach durch dieses Portalfenster schreiten, nach Deutschland fliegen und mir ein Feierabendbier gönnen.
MP: Haben Sie zum Abschluss noch ein paar Worte an Ihre Fans?
Shirahama-sensei: Die Story hat sich zwar in den bereits erschienenen Bänden immer ernster entwickelt und auch sehr viele schockierende Wendungen gehabt, aber Coco und die anderen Charaktere geben ihr Bestes, um nach Lösungen zu suchen. Ich würde mich freuen, wenn die deutschen Fans sie auch weiterhin unterstützen und ihre Story gerne lesen.
Es gibt bald neben dem Manga auch den Anime und ich würde mich freuen, wenn ihr der Welt von Atelier of Witch Hat treu bleiben würdet und euch auch weiterhin an der Story erfreut.
MP: Vielen Dank für das Interview, Shirahama-sensei.