Interview mit Yuna Hirasawa – Mangaka von „Yunas Reise zum Ich – My Sex Change Experience“
Im Rahmen der Veröffentlichung von Yunas Reise zum Ich – My Sex Change Experience durften wir in Zusammenarbeit mit Carlsen Manga! ein Interview mit der Mangaka des Werkes, Yuna Hirasawa, führen.
Wir möchten uns zunächst herzlich bei Carlsen Manga! für die Gelegenheit sowie bei dem japanischen Verlag Kodansha, der das Interview genehmigt hat, bedanken. Ein großes Danke sprechen wir an dieser Stellle auch Mangaka Yuna Hirasawa selbst aus, die sich für unsere Fragen Zeit genommen hat. Nachfolgend werden wir Hirasawa-sensei mit Hirasawa und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo, Hirasawa-Sensei. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview mit uns nehmen!
Hirasawa: Ich danke auch!
MP: Ihr Manga Yunas Reise zum Ich – My Sex Change Experience ist ein autobiografischer Manga. Wie kamen Sie zu dieser Idee?
Hirasawa: Während meines Krankenhausaufenthaltes habe ich zur eigenen Dokumentation und als Übung für die Manga-Produktion meine eigenen Erfahrungen in 30 Manga-Seiten zusammengefasst. Das war der Anfang von allem. Ich habe diese Aufzeichnungen damals meiner Redakteurin bei Kodansha gezeigt. Sie fand sie gut und beschloss, aus diesem Manga eine kurze Serie zu machen.
Als ich mit dem Zeichnen fertig war, hatte der Manga, den ich vor meiner Operation eingereicht hatte, einen Preis gewonnen, und ehe ich mich versah, wurde Bokuwata (jap. Abkürzung für Yunas Reise zum Ich – My Sex Change Experience) schon in der Zeitschrift veröffentlicht. Als mir gesagt wurde, dass der Manga in Serie gehen würde, hatte ich zwar meine Zweifel, aber ich wollte mir die Chance nicht entgehen lassen, mein Debüt als Mangazeichnerin zu geben.
MP: Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit an einer autobiografischen Erzählung von einer erfundenen Geschichte?
Hirasawa: Ich weiß nicht, ob ich sowas überhaupt beantworten darf …
Das Publikum für beide Arten von Manga ist recht unterschiedlich. Ich denke, dass bei Essays im Vergleich zu Story-Manga die Verständlichkeit und Zugänglichkeit zur Thematik wichtiger sind als gut gezeichnete Bilder und attraktive Figuren. Zudem zeichnet man bei autobiographischen Manga eigene Erfahrungen und Gefühle. Der Manga enthält daher sehr viele Emotionen. Deswegen scheint es mir wichtig, zu überlegen, welche Gefühle und Erfahrungen in die Story genommen werden und welche nicht.
MP: Zu welchem Zeitpunkt haben Sie entschieden, Ihre Geschlechtsangleichung in einem Manga zu thematisieren? Haben Sie sich zwischenzeitlich Notizen gemacht, beispielsweise im Krankenhaus?
Hirasawa: Noch während ich mit Schmerzen im Krankenhauszimmer lag, arbeitete ich bereits an meinem Storyboard. Wenn man Mangaka werden möchte, macht man die eigenen Notizen natürlich in Form von Manga. Zumindest habe ich mir das so gedacht. Ansonsten ging es weiter, wie ich es oben bereits geschildert habe.
MP: Wissen Sie noch, wann Sie sich das erste mal mit ihrem „Geschlecht“ auseinandergesetzt haben?
Hirasawa: Meine erste Überlegung war bereits in meiner Kindergartenzeit. Es gab in diesem Kindergarten als Uniform Hosen für Jungs und Röcke für Mädchen. Meine Mutter sagte mir dazu: „Es wäre doch komisch, wenn Jungen Röcke tragen würden, nicht wahr?“ Daran kann mich noch gut erinnern. (Ich weiß allerdings nicht mehr genau, in welchem Zusammenhang das gesagt wurde.)
Damals habe ich es einfach hingenommen und gedacht: „Ach, ist das so?“
MP: Wie fühlen Sie sich nun, einige Jahre nach der Operation?
Hirasawa: An Tagen, an denen ich mich wegen meinem Geschlecht nicht unwohl fühle, geht es sehr gut. Natürlich gibt es immer noch einige unangenehme und schmerzhafte Dinge. Natürlich bin ich nicht wie in der Manga-Geschichte wiedergeboren worden, also kann ich nicht sagen, dass alles perfekt ist, aber im Allgemeinen bin ich zufrieden.
MP: Wie war es für Sie, als Sie erfahren haben, dass ihre Geschichte an so einem entfernten Ort wie Deutschland veröffentlicht, gelesen und wertgeschätzt wird?
Hirasawa: Ich war ehrlich gesagt glücklich, aber gleichzeitig auch ein wenig besorgt.
Der Inhalt von Bokuwata gibt einen Einblick in die Probleme, mit denen Japan konfrontiert ist und ich fragte mich, wie unser Land von den Menschen in Europa wahrgenommen werden würde, wo das Gender-Bewusstsein so weit fortgeschritten ist …
Ich würde mich über eine ehrliche Meinung der Menschen aus dem deutschsprachigen Raum freuen.
MP: Warum haben Sie sich dazu entschieden, den Namen Yuna anzunehmen?
Hirasawa: Es war erneut meine Mutter, die mir den Namen gegeben hat. Das hat mich sehr gefreut!
MP: Haben Sie an Yunas Reise zum Ich – My Sex Change Experience digital oder analog gearbeitet und was benutzen Sie für Arbeitsmaterialien?
Hirasawa: Im Grunde arbeite ich digital, nur einige meiner Farbseiten entstehen teilweise analog. Ich habe zwar auch einen G-Pen, aber ich benutze ihn nicht mehr oft.
Zur Zeit der Veröffentlichung von Bokuwata zeichnete ich in einer kleinen, 30 Jahre alten Wohnung mit einem Monitor und einem Grafiktablett, aber nach dem Tod meiner Großeltern kehrte ich in das Haus meiner Eltern zurück und übernahm das Zimmer, in dem sie wohnten, als meinen Arbeitsbereich. (Das war der letzte Wille meiner Großmutter …)
Jetzt sind auf meinem Schreibtisch zusammen mit einem LCD-Tablett insgesamt vier Bildschirme. Das Mikrofon nutze ich für Meetings oder die Kommunikation mit meinem Assistent sowie zum Unterhalten mit anderen Mangaka-Freunden während der Arbeit.
Wenn man auf dem Stuhl sitzt, hat man diesen Blick! Außerdem gibt es links und rechts einen Tisch, an dem man dann das Storyboard erstellen oder Shikishi zeichnen kann.
Was das analoge Material angeht, so bevorzuge ich farbige Tinten. An zweiter Stelle stehen Acryl-Gouache-Farben. Farbige Tinte ist gut für die Farbentwicklung. Ich nutze sie für Shikishi sowie zum Teil fürs Titelbild. Ich verwende Acryl-Gouache, um verschiedene Muster auf dem zu zeichnen, die ich dann in meinen Computer importiere und kombiniere. So entstand beispielsweise das Titelbild von Bokuwata sowie die Farbseite von Kagitsuki Terrarium (etwa: Terrarium mit Schloss).
Das 60-teilige Farbestifte-Set enthält Farben von Vincent van Gogh. Deren Hersteller ist die Firma Royal Talens. Damit habe ich die farbigen Seiten von Shirayuri wa Shu ni Somaranai (etwa: Weiße Lilien werden nicht in Zinnoberrot verfärbt.) illustriert. Ich verwende Copics, die viele andere Mangaka verwenden, nur für letzte Feinarbeiten bei Shikishis.
Da ich im Corona-Pandemie keine persönlichen Treffen mehr abhalten kann, werden manche Arbeitsprozesse allmählich digital umgesetzt. Mein Storyboard erstelle ich im Grunde genommen aber immer noch analog. Wenn mir die Szenen einfallen, muss ich schnell daraus ein Storyboard machen, bevor ich sie wieder vergesse. Mit der Geschwindigkeit komme ich da digital einfach noch nicht ran, weswegen ich beim Storyboard die analoge Arbeit bevorzuge. Ich hoffe, dass die Corona-Pandemie bald zu Ende ist.
Das ist der Haufen mit den abgelehnten Storyboards zur Zeit meines Debüts. Die Vorschläge werden manchmal erst nach ein paar Jahren angenommen, weswegen ich sie nicht einfach wegwerfe.
MP: Wollten Sie schon immer Mangaka werden oder wie kam es zu dieser Gelegenheit?
Hirasawa: Ich habe schon immer gern Manga gezeichnet und Mangaka hat mich als Beruf fasziniert, aber ich hätte nie gedacht, dass ich eine werden würde. Der Auslöser war erst die Geschlechtsumwandlung. Ich dachte auf einmal, ich würde versuchen, alles zu erreichen, was ich tun und sein wollte.
MP: Haben Sie zum Abschluss ein paar Worte an ihre Fans und Leser des Werkes?
Hirasawa: Ich hoffe, dass diejenigen unter euch, die sich mit ihrem Geschlecht unwohl fühlen, spüren, dass es am anderen Ende der Welt ähnliche Menschen gibt und dass es auch in anderen Ländern Schwierigkeiten gibt. Ihr und ich seid nicht allein!
Ich möchte euch danken, dass ihr euch die Zeit genommen habt, diesen Artikel zu lesen, auch wenn ihr vielleicht nicht direkt von der Thematik betroffen seid, vor allem, wenn ihr euch mit eurem Geschlecht nicht unwohl fühlt. Ich hoffe, dass das euch Gelesene nützlich sein wird, wenn ihr jemals jemandem in eurem Umfeld oder sogar euch selbst helfen wollt.
MP: Vielen Dank für das Interview, Hirasawa-Sensei. Und danke, dass Sie den Mut hatten, Ihre Geschichte mit der Welt zu teilen!
Hirasawa: Ich danke ebenfalls!