Starke Kontraste: „Sunny“ von Taiyo Matsumoto – Band 04
Während Reprodukt zuletzt die deutschsprachige Veröffentlichung von Taiyo Matsumotos Ping Pong angekündigt hat, setzte Carlsen Manga! vor Kurzem unterdessen den Release der Sunny-Reihe mit einem neuen Band fort. Band 04 ist offiziell seit dem 26. Oktober im Handel – wir haben ihn gelesen und berichten im Folgenden von unseren Eindrücken.
Die deutschsprachige Ausgabe besticht erneut durch die hohe Qualität bei der Produktion und Verarbeitung. Die insgesamt rund 210 Seiten sind als großformatige Klappenbroschur mit Naturpapier-Haptik gefasst. In dem Gesamtumfang sind zu Beginn wieder mehrere Farbseiten enthalten. Außerdem fällt das verwendete Papier positiv auf, dieses zeichnet sich durch die merkliche Dicke und die nahezu reinweiße Farbgebung in besonderer Weise aus. Der Preis von 16,00 € ist sicherlich über dem gewohnten Standard – so aber auch die gebotene Güte.
Inhaltsbeschreibung
Im sogenannten Star Kids leben mehrere Jungen und Mädchen auf engstem Raum zusammen. Die beschauliche Heimeinrichtung nimmt sich verlassener Kinder an, deren Eltern aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht mehr in der Lage sind, die elterliche Verantwortung zu übernehmen.
Das freundliche Personal des Kinderheims ist dabei stets bemüht, den jungen Bewohnern trotz der unglücklichen Gegebenheiten ein gutes und würdiges Leben zu ermöglichen. Doch ist jede:r Einzelne von ihnen mit tiefgreifenden Sorgen konfrontiert, die auch von den engagierten Erwachsenen nicht vollumfänglich aufgelöst werden können und in Folge immer wieder auch der Grund für Reibereien sind.
Im vierten Band steht der weißhaarige Haruo wieder im Mittelpunkt. Obwohl er im Herzen ein lieber Junge ist, treiben ihn die äußerlichen Umstände immer wieder in Schwierigkeiten. Um einem anderen Heimkind eine Freude zu machen, möchte er ein Kunststoff-Federmäppchen besorgen – jedoch ohne zu bezahlen, denn die finanziellen Mittel der beschaulichen Betreuungsstätte sind sehr limitiert.
Das Thema Armut wird auch mit dem Blick auf einen Landstreicher weiter fokussiert – jedoch ohne dieses direkt als solches zu benennen. Auch Geld findet nur am Rande Erwähnung. Mangaka Taiyo Matsumoto vermittelt die der Geschichte inneliegende Dramatik stets mit einer gewissen Subtilität.
Des Weiteren ist Familie ein weiterer zentraler Aspekt der vorliegenden Fortsetzung. Obwohl die Kinder im Heim gut versorgt sind, zeigt sich bei Kiko noch einmal eine ganz andere Form von Lebensfreude, als sie die Mitteilung erhält, dass ihre Mutter sie wieder zu sich holen möchte. Der Kontrast zwischen dem Heimleben und einer eigenen Familie wird dadurch ein weiteres Mal deutlich aufgezeigt. Eine plötzliche Wendung führt das Geschehen um das junge Mädchen in eine tief berührende Richtung …
Zeichenstil
Nicht nur durch seine Inhalte, sondern vor allem mit seinen Illustrationen setzt sich Schöpfer Taiyo Matsumoto von dem Segment der Mainstream-Manga ab. Seine Erzählungen erfreuen sich einer ganz speziellen Technik der zeichnerischen Darstellung. Bereits das von ihm angewandte Charakterdesign erscheint – wie es das oben gezeigte Coverdesign eindrucksvoll beweist – recht fantastisch, es ist überspitzt, aber gleichzeitig eindeutig als menschlich zu identifizieren.
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Trotz der mitunter übersteigerten, skizzenartigen Optik ist die Mimik stets ein ungefilterter Spiegel der Gefühlslage der verschiedenen Charaktere. Hintergründe sind zahlreich enthalten, dominieren die Bildelemente jedoch nicht. Durch diesen Kontrast stechen die Figuren wirksam hervor. Nicht weniger genial sind die zahlreichen Farbillustrationen mit denen der Manga aufwartet.
Um selbst einmal in das Innere der Reihe zu schauen, bietet Carlsen Manga! an dieser Stelle eine kostenlose Leseprobe an. Auch die hier frei verfügbare Pressemappe beinhaltet verschiedene Zeichnungen, die eine Idee von dem zuvor Beschriebenen vermitteln. Alternativ kann vorsichtig im Handel vor Ort reingeblättert werden – die großformatigen Bücher sind nicht eingeschweißt.
Über Taiyo Matsumoto
Taiyō Matsumoto, geboren 1967, bedient in seinen Werken ein breites Themenspektrum. Seine Titel bewegen sich zwischen Science-Fiction-Epen, Familiengeschichten und Sportabenteuern. In seiner Studienzeit an der Wako Universität trat Taiyō Matsumoto dem Comic-Seminar bei. Seine Entscheidung, Mangaka zu werden, begründet er mit dem Einfluss seines Cousins und bekannten Mangaka Inoue Santa wie auch mit seiner Faszination an Ôtomo Katsuhiros Manga „Dômu“ („Das Selbstmordparadies“, Alpha Comics). Matsumoto brachte keinerlei Vorkenntnisse mit und lernte die Techniken von Grund auf.
Seinen ersten Manga konnte er dennoch bereits während seiner Studierendenzeit im „Afternoon“-Magazin publizieren. Der Durchbruch gelang Matsumoto 1994 mit „Tekkon Kinkreet“, die Sammelbände verkaufen sich in Japan über eine Million Mal. Auf Deutsch erschien die mit dem Eisner Award ausgezeichnete Serie 2019 im Cross Cult Verlag. Seine Werke werden bis heute regelmäßig ins Englische, Französische und Spanische übersetzt. Im Stil des japanischen Mangazeichners finden sich viele europäische Einflüsse. Zu seinen Vorbildern zählt Matsumoto Miguelanxo Prado, Enki Blal und Moebius.
Ähnlich wie Jiro Taniguchi („Der spazierende Mann“, Carlsen) bewegt sich Matsumoto erzählerisch und zeichnerisch jenseits des Manga-Mainstreams, doch seine internationale Fangemeinde ist groß. Sicher auch dank seines unkonventionellen und häufig auch surrealen Zeichenstils. (© Carlsen Verlag GmbH)
Fazit
Der vierte Band von Sunny ist mit Sicherheit der bislang emotionalste Teil der Reihe. Die insgesamt sieben Kapitel sind allesamt von starken Kontrasten geprägt – und das nicht nur im visuellen Sinne. Armut und Familie sind die zwei Kernthemen im vorliegenden Teil, beides ist in Bezug auf Heimkinder sicherlich nicht überraschend, aber es ist eben gerade Taiyo Matsumotos Erzählweise, die hierbei den Ausschlag gibt.
Was die Bewohner des Star Kids trotz aller ihnen durch die Heimleitung entgegengebrachten Liebe und Fürsorge von ihren gleichaltrigen Mitschülern trennt, wird der Leserschaft fortlaufend unweigerlich aufgezeigt – mal mehr und mal weniger subtil, aber stets ist dieser entsprechende Eindruck auf eine gewisse Art zu fassen. Es betrübt. Das Gelesene wird dabei aber nicht zwingend in einen direkten Tränenfluss überführt, es ist viel mehr eine Form innerer Traurigkeit, die der 1967 geborene Japaner mit Sunny aufzubauen weiß.
2 Bilder
Der Manga beschäftigt den eigenen Geist mitunter auch noch mehrere Tage im Nachhinein – das ist ein bestimmter Schmerz, der unserer Meinung nach unbestreitbar für die hohe Kunst Taiyo Matsumotos spricht. Mit den autobiografisch gefärbten Ausführungen trifft er einfach den richtigen Nerv. Die eigene Familie und den eigenen Wohlstand zu schätzen sind mögliche Deduktionen, die sich zusätzlich aus dem Manga ergeben.
Dass der beschriebene Zeichenstil sowie die Aufmachung der deutschsprachigen Ausgabe dem Ganzen darüber hinaus das sprichwörtliche i-Tüpfelchen aufsetzen, ist an dieser Stelle nur noch einmal formhalber zu erwähnen – bei eigener Betrachtung dürfte es schließlich geradezu offensichtlich sein. Der Hamburger Herausgeber gibt dem Werk glücklicherweise das Gewand, das es verdient. Dem interessierten Publikum sind es die 16,00 € nach dem Lesen bestimmt wert – und das sollten sie allen. Mit Geld ist eine so unglaublich berührende Geschichte ohnehin nicht aufzuwiegen.
Abschließend bedanken wir uns herzlich bei Carlsen Manga! für das unverbindliche Zusenden eines Belegexemplars.