Interview mit Carlsen Manga! Programmleiter Kai-Steffen Schwarz – über 2021, Papierknappheit, „Tokyo Revengers“ und 100 Bände „One Piece“
Passend zum Jahresabschluss hat sich auch Kai-Steffen Schwarz, Programmleiter von Carlsen Manga!, noch einmal Zeit für uns genommen. Im Interview haben wir ihn unter anderem über das Jahr 2021, die aktuelle Papierknappheit, den 100. One Piece-Band und Ken Wakuis Tokyo Revengers befragt.
Nachfolgend kürzen wir uns mit MP und Kai-Steffen mit Kai ab. Wir wünschen viel Spaß mit dem Interview!
MP: Moin Kai und danke, dass du dir die Zeit für diese fast schon jährliche Tradition nimmst!
Kai: Gerne doch, ich hatte ja während des Jahres auch schon mal das Vergnügen. ?
MP: Fangen wir doch mal mit der üblichen Frage an: Wie lief 2021 für euch? Seid ihr zufrieden?
Kai: Rein wirtschaftlich gesehen: absolut! 2021 haben wir tatsächlich den größten Manga-Umsatz der Carlsen-Geschichte erzielt, was wir vor allem den unglaublichen Verkäufen unserer Topserien verdanken. Unser demütiger, riesiger Dank geht an alle Leserinnen und Leser, den Handel und alle anderen Manga-Fans und -Supporter draußen im Lande für anhaltende Unterstützung und großen Einsatz – »intern« natürlich an alle Mangaka und kreativen Köpfe, unsere Lizenzpartner, ans gesamte Manga-Team im Hause sowie unsere freien Übersetzer*innen und Mitarbeiter*innen. Wir sind überaus glücklich, dass unser aller Lieblingsmedium für solche Begeisterung sorgt. Auch unser Jubiläum »30 Jahre Manga bei Carlsen« haben wir – gemessen an den äußeren Umständen – recht erfreulich über die Bühne gebracht, hoffe ich. Wir können sehr stolz darauf sein, dass der exorbitante Erfolg des Mediums Manga dazu beiträgt, den Handel in schwierigen Zeiten zu unterstützen und dem Publikum schönes und spannendes Lesevergnügen zu bereiten.
Zugleich kann ich nicht verhehlen, dass 2021 ziemlich arbeitsintensiv war, z. B. weil zu den vielen Novitäten und Jubiläums-Extras so viele Nachdrucke wie noch nie bewältigt werden mussten: rund 900 Bände, der absolute Wahnsinn. Das so nicht vorhersehbare Arbeitsvolumen hat uns dann ehrlich gesagt auch etwas geplättet und wir sind sehr froh darüber, zum Jahreswechsel ein paar Tage durchatmen zu können. Soweit die Pandemie es überhaupt zulässt …
MP: Hättet ihr euch irgendetwas anders gewünscht oder getan, wenn es in eurer Macht gestanden hätte?
Kai: Natürlich: Corona, mit allen damit zusammenhängenden Problemen, hätten wir gerne sofort gelöscht! Lasst Euch bitte alle impfen und boostern, wenn Ihr könnt, damit wir alle zusammen diesen Mist so schnell wie möglich in die Kuhle treten können!
Vieles hätten wir uns natürlich anders vorgestellt – auf Manga bezogen: Wir vermissen die vielen direkten Begegnungen mit Fans, auf Messen und Conventions, mit unseren Lizenzpartnern in Japan (auch einigen Autorinnen und Autoren) und so einiges mehr. Gerne hätten wir unser Jubiläum »live und in Farbe« gefeiert. Auf aktuelle Probleme wie bei der Papierbeschaffung, steigenden Druckpreisen, Herausforderungen bei Logistik und Lieferketten war jetzt auch niemand so richtig scharf – aber andere Branchen leiden ja zum Teil viel stärker unter der Situation. Von daher: Mund abputzen, Maske auf, Abstand halten, impfen und Vorsicht walten lassen, damit sich die Lage für alle schnell wieder bessert.
MP: Aus aktuellem Anlass: Papierknappheit – Wie sehr seid ihr betroffen und wie geht ihr damit um? Ist schon eine Besserung der Situation in Aussicht?
Kai: Verglichen mit kleineren Verlagen geht es uns noch gut, weil wir als Teil einer großen Unternehmensgruppe über mehrere Programme hinweg Druckaufträge immerhin in einem gewissen Volumen garantieren können. Trotzdem sind wir über jede Lieferlücke und Verzögerung unglücklich, weil das immer bedeutet, am Ende unsere Kund*innen zumindest zeitweilig enttäuschen zu müssen. Wir versuchen, so gut wie möglich bedarfsgerecht zu planen, es ist dafür viel mehr Vorlauf als früher nötig. Teilweise ist das gar nicht richtig umsetzbar, weil auch mal ganz plötzlich binnen Stunden entschieden werden muss, ob wir Papiersorten wechseln, Auflagenhöhen ändern, noch länger warten können etc. pp. Oder weil wir uns bei Auflagen verschätzt haben und plötzlich nicht mehr ein bis zwei Wochen, sondern Monate auf den Nachschub warten müssen. Es gibt die Hoffnung, dass sich die Lage binnen einiger Monate wieder bessert, warten wir mal ab. Aber nochmal: Andere Wirtschaftszweige sitzen derzeit viel tiefer in der Tinte.
MP: Welche Titel waren 2021 die erfolgreichsten bei euch? (Umsatz & Verkäufe)
Kai: NARUTO Massiv, Attack on Titan, My Hero Academia, One Piece, The Promised Neverland, Dragon Ball (Massiv & Super), Black Butler, Dr. Stone, Boruto und – nach 20 Jahren erstmals in unseren Top Ten! – Hunter X Hunter.
Unsere beliebtesten Neustarts nach verkauften Stückzahlen waren dieses Jahr Fruits Basket Pearls, The Killer Inside, Dead Company und Rosen Blood. Höherpreisige Umsatz-Highlights waren für uns wieder mal Schuber-Editionen, wie die von Attack on Titan, Dragon Ball Super oder Moriarty the Patriot, sowie die Lovecraft-Adaptionen von Gou Tanabe (Schatten aus der Zeit, Cthulhus Ruf), die Monster Perfect Edition von Naoki Urasawa, Junji Itos Deluxe-Hardcover (Uzumaki, Gyo und Shiver) und z. B. das One Piece-Kochbuch Sanjis leckere Piratenrezepte.
MP: Euer Programm für 2022 ist nun vorgestellt. Was ist dein persönliches Highlight und welchen Titel, den vielleicht weniger Leute auf dem Radar haben, empfiehlst du besonders?
Kai: Da muss ich aufgrund der Programmbreite jeweils wieder mehrere nennen, zuallererst natürlich Tokyo Revengers. Die Serie hatten wir schon länger auf dem Schirm, trotz der coolen Charaktere zunächst vielleicht etwas unterschätzt – sie kam 2021 dann mit Macht auf unseren Radar, durch den Anime. Wir sind super glücklich, den Zuschlag für diesen Blockbuster bekommen zu haben! Ich freue mich auf weitere, sehr unterschiedliche Titel: die großformatigen Doppelbände des apokalyptischen Neo-Klassikers Dragon Head etwa. Ich bin super gespannt auf unsere Eigenproduktion Mortalis von Dominik Jell, auf Eldo Yoshimizus wohl persönlichstes Werk Hen Kai Pan, auf die schöne Slice-of-Life-Serie Insomniacs After School und wie die Pearls-Edition von Vampire Knight ankommen wird. Weniger als »typischer« Manga im Blick – aufgrund des Formats und der Ausstattung für Manga-Fans etwas ungewohnt – ist vielleicht die Serie München 1945 von Sabrina Schmatz, die bei uns ja als HC-Gesamtausgabe erscheint. Da freue mich sehr auf das abschließende zweite Buch, an dessen Inhalt Sabrina gerade letzte Hand anlegt. Ebenso möchte ich hier für Simone Grünewalds neues Werk Draw What You Love die Trommel rühren, das im Frühjahr erscheint – ein motivierendes Werk für alle, die gerne selbst zeichnen. (Darf ich noch schnell auf die jüngst komplettierte Serie Focus 10 von Martina Peters hinweisen? Schon gelesen? ?)
MP: Ihr habt Tokyo Revengers lizenziert, einen der vermutlich meistgewünschten Titel dieses Jahr. Warum habt ihr euch hier direkt für eine 2-in-1-Ausgabe entschieden und welche Vorteile bringt diese Veröffentlichungsform für euch und die Leser?
Kai: Ken Wakuis Serie ist in Japan aktuell bei 25 Bänden angelangt und es gibt bereits eine Anime-Staffel. Vor wenigen Tagen wurde in Japan die zweite Season angekündigt, allerdings noch ohne Termin. Um für das deutsche Publikum möglichst zügig aufzuholen, bieten sich Sammelbände hier einfach an. Wir hätten zwar auch jeden Monat einen Band veröffentlichen können, hielten es aber für eine bessere Idee, diese unglaublich packende Story lieber zweimonatlich in Doppelbänden zu bringen, so bekommt sie vielleicht auch mehr Aufmerksamkeit. Ein Vorteil aus Leser*innen-Sicht ist z. B. der Preis: 12,- Euro pro Doppelband statt zwei Einzelbände für je 7,- Euro, zudem bieten wir den ersten Doppelband ja zeitlich limitiert mit Einstiegspreis an. Covermotive werden auch keine weggelassen, sondern das jeweils zweite dann auf dem Backcover der Bände platziert. Wir sind wirklich extrem gespannt, wie der Manga vom deutschen Publikum aufgenommen wird. Kaum zu glauben, aber in Spanien z. B. ist Toyko Revengers am Startwochenende kürzlich sogar auf Platz 1 aller Bücher gelandet! Félicitaciones!
MP: Kann man ein solches Konzept in Zukunft vielleicht auch bei anderen Reihen erwarten, die in Japan bereits etwas länger laufen oder wird das nun eine pure Ausnahme?
Kai: Für Erstausgaben ist das bei uns eher eine Ausnahme, wir müssen Sammelbände immer auch mit Blick auf unsere redaktionellen Kapazitäten betrachten, die müssen ja ordentlich übersetzt, bearbeitet und produziert werden. Auch dickere Neueditionen bekannter Reihen, wie unsere Massiv-, Pearls- und Perfect-Editionen benötigen jeweils mehr Zeit und Konzentration als ein einzelnes Taschenbuch. Hinzu kommt, dass wir viele länger laufende Serien im Programm haben und eigentlich auch ein paar kürzere Projekte nicht zu verachten wären … Es kommt letztlich immer auf die jeweilige Serie an, also: Schauen wir mal.
MP: 2022 wird One Piece auch 100! Zumindest nach der Bandanzahl. Kannst du bereits ein wenig darüber verraten, was ihr euch alles an Highlights überlegt habt, um Ruffys Reise zu feiern?
Kai: Es ist absolut beeindruckend, was Oda-sensei mit One Piece über die Jahre erreicht hat, davor können wir uns nur verneigen. Was konkret Band 100 betrifft: Dazu muss ich mich noch ein wenig bedeckt halten, da wir noch nicht sicher wissen, ob alles klappt. Klar ist, dass wir zeitgleich zur Jubelausgabe den ersten Sammelschuber (für den East Blue-Arc, d. h. Bände 1 – 12) sowohl gefüllt als auch als Leerschuber verfügbar machen. Parallel legen wir Eiichiro Odas Kurzgeschichtenband Wanted! – in dem u. a. Romance Dawn enthalten ist – neu auf, der war zuletzt vergriffen und viele neu hinzugekommene Fans werden den noch gar nicht kennen. Zum geplanten „Promo-Drumherum“ also später mehr. Ich kann aber hier schon mal ankündigen, dass wir die weiteren Sammelschuber künftig ebenfalls veröffentlichen wollen, und ja: auch als Leerschuber. Ruffys Reise wird also noch ein wenig weitergehen!
MP: 2022 sollen erstmals nach zwei Jahren Pause die Manga-Comic-Con und die AnimagiC wieder stattfinden. Werdet ihr dort ebenfalls vertreten sein und gegebenenfalls einen hochkarätigen Ehrengast einladen?
Kai: Wenn die Omikron-Variante uns allen nicht noch einen dicken Strich durch die Rechnung macht, dann werden wir auf der Manga-Comic-Con in Leipzig sein, ja – wir haben auch Events mit tollen, einheimischen Künstler*innen geplant. Japanische Gäste sind dort aber diesmal nicht zu erwarten. Vielleicht eher bei der AnimagiC, bis dahin ist noch ein wenig mehr Planungs-Zeitpuffer vorhanden und die Pandemielage wird im August vielleicht entspannter sein. Steht zu hoffen, dass diese und andere Festivals und Events 2022 stattfinden können, bei denen wir mit Stand aufkreuzen und vor allem die Besucher*innen ausreichend geschützt teilnehmen können.
MP: Gib uns doch bitte einen allgemeinen Ausblick auf 2022: Was sind eure Ziele und Vorhaben?
Kai: Wir möchten unsere Leser*innen weiter gut mit tollen und interessanten Manga-Lesestoffen versorgen – nicht nur jene, die schon lange dabei sind, sondern auch die vielen, jüngeren Neueinsteiger der letzten Zeit! Neben Action- und Mystery-Stoffen darf schräger Humor im Programm keinesfalls fehlen, weshalb wir gleich noch einen freundlichen Lesebefehl für Mashle: Magic and Muscles (ab Juli) loswerden möchten. An einigen kleinen Überraschungen und Extras basteln wir noch, auch in Richtung Herbstprogramm.
MP: Hast du zum Abschluss noch ein paar Worte an unsere Leser?
Kai: DANKE, dass Ihr da seid und das Interview bis hierhin gelesen habt! ? Sagt uns bitte weiterhin offen und ehrlich, was wir besser machen können und über welche Manga Ihr Euch freuen würdet. Lasst es Euch gut gehen, passt auf Euch und Eure Liebsten auf, hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder auf einer Con!
MP: Vielen Dank für deine Zeit!
Kai: Ich habe zu danken, bleibt senkrecht!