Ernüchternder Ersteindruck: „Unsere Farben“
Autor Gengoroh Tagame ist hierzulande insbesondere für seine vierteilige Reihe Der Mann meines Bruders bekannt, eine preisgekrönte Kurzserie über die Akzeptanz von Homosexualität. Nun legt er mit Unsere Farben ein neues Werk vor – dieses war unsererseits mit hohen Erwartungen verbunden. Dass diese jedoch nur bedingt erfüllt wurden, legen wir im Folgenden dar.
Wie bereits sein Prestige-Titel Der Mann meines Bruders erscheint Unsere Farben in Deutschland im Großformat mit Karton-Haptik der Außenseite. Farbseiten enthält der Manga nicht, jedoch ist die Innenseite des Front- und Backcovers mit einem vereinfachten Motiv bedruckt. Monetär ist der erste von insgesamt drei Bänden mit 10 Euro (D) preislich noch im gewohnten Segment vorzufinden.
Der Druck unseres Belegexemplars weißt darüber hinaus Schwankungen in der Qualität hinsichtlich der Deckkraft auf. So sind einige Flächen von leichten, hellen Pünktchen gesprenkelt. Da der Band nicht eingeschweißt ist, empfiehlt es sich womöglich, das Buch auf diesen Mängel vor Ort zu untersuchen. Soweit zu den physikalischen Begebenheiten – nun zum Inhalt des 176 Seiten umfassenden Auftakts.
Handlung
Oberschüler Sora ist homosexuell, dessen ist er sich bewusst. Obwohl er dies in seinem sozialen Umfeld nicht offen äußern kann, hegt er dennoch Gefühle der Liebe für einen seiner Mitschüler namens Yoshioka. Der junge Mann mit breiten Schultern macht einen sympathischen Eindruck, da er stets freundlich und gelassen erscheint. Sora wünscht sich, dass sein Schwarm ähnlich herzlich auf sein Outing reagieren würde.
Nachdem der Tag eigentlich gut für den jungen homosexuellen Schüler begonnen hatte, scheint das Folgende einen signifikanten Punkt in seinem weiteren Leben zu markieren: Er beobachtet Yoshioka, wie dieser sich über gleichgeschlechtliche Liebe zu amüsieren scheint. Sora meint zu erkennen, dass dieser sich über Homos lustig macht. Sein zuvor so positives Bild von ihm wird mit einem Schlag getrübt.
Den Kunstclub besucht Sora an diesem und folgenden Tagen nicht und das, obwohl seine Kindheitsfreundin Nao dort auf ihn wartet. Auch sie weiß nichts von dem Geheimnis ihrer Sandkastenbekanntschaft. Unterdessen ruht sich Sora auf einer Mauer am örtlichen Strand von den Strapazen und dem gewonnenen Schock aus. Plötzlich dringen warme Worte an ihn heran: „Ich mag dich.“
© Gengoroh Tagame 2018 by Futabasha Publishers Ltd. © Carlsen Verlag GmbH · Hamburg 2020
Da er zuvor ein wenig in den Schlaf gesunken war, ist sich Sora nun allerdings nicht sicher, ob er tatsächlich einen alten Mann vernommen hatte, der diese Worte an ihn richtete oder dies lediglich ein Produkt seiner Fantasie war. Wenige Tage später trifft er jedoch auf jenen angejahrten Herren mit grauen Haaren, der ein Café betreibt und eine ganz besondere Lebensgeschichte zu haben scheint.
Er offenbart Sora, dass er homosexuell ist … dies ist für den japanischen Oberschüler der erste Kontakt zu einem anderen Individuum aus der Community. Der Manga möchte in drei Bänden ein Jugenddrama erzählen, dass die Thematik der eigenen Identitätsfindung und Selbstakzeptanz glaubhaft aufzugreifen versucht. Dabei erinnert das Geschehen wiederholt an Wer bist du zur blauen Stunde? von Yuhki Kamatani.
Zeichenstil
Zumindest ist dem studierten Kunsthochschul-Absolventen ein Stil mit Wiedererkennungswert zu bescheinigen. So sind die Charakterdesigns in der vorliegenden Geschichte nicht androgyn, sondern sehr männlich gefasst. Damit orientiert sich der Autor eher am Bara-Segment als an stereotypischen Darstellungen von anderen bekannten Boys-Love-Manga. Auf wenig oder nicht bekleidete, behaarte Männer verzichtet er bislang allerdings.
Das männlichere Aussehen ist bislang lediglich auf die Statur und das Gesicht seiner Figuren aus Unsere Farben zu beziehen. Die Linienführung erscheint sauber und einfach – das Werk setzt dahingehend auf ein Gefühl von Ruhe und Glaubwürdigkeit. Hintergründe sind sporadisch vorzufinden, jedoch zumeist nur geringfügig ausgearbeitet. Fokus liegt auf den Ereignissen im Vordergrund.
Oberflächlich gesehen erscheint die Visualisierung ein wenig blass, doch unterstützt dies zugleich die Atmosphäre des Titels. Es ist das normale, das gewöhnliche Leben, das von Gengoroh Tagame dargestellt wird. Dieses bedarf keiner besonderen Hervorhebung, es gewinnt innerhalb des Mediums Manga durch die Erzählweise an Bedeutung. Über diese berichten wir im folgenden Absatz.
Storytelling
Jene Erzählweise erscheint im vorliegenden Werk in ihrer Ausführung bescheiden. Es ist schwierig nachzuvollziehen, weswegen sich dieser Eindruck ergibt, doch hinterließ der erste Band ein Gefühl der Unzufriedenheit. Möglicherweise liegt es an den fehlenden Hintergrundinformationen der verschiedenen Figuren, die wohl erst im nächsten Band vorgetragen werden.
Andererseits erscheint der Auftakt relativ generisch. Die Zuneigung zu einem – möglicherweise vermeintlich – homophoben Mitschüler ist kein neues Rad, ein Café als Treffpunkt für Menschen der Queer-Community scheint ebenso Trend zu werden. Hinzukommen die Erwartungen von Soras Eltern, dass dieser sich seiner Kindheitsfreundin Nao auch beziehungstechnisch annähern soll. Dies sind allesamt bekannte Elemente. Lediglich der ältere Mann als eine Art Ratgeber könnte der weiteren Handlung interessante Akzente verleihen, wenngleich auch dieser Part eines Art gleichgesinnten Älteren nicht zwingend als innovativ zu bezeichnen ist.
Außerdem ärgert die mangelnde Reflexion der Geschehnisse durch Protagonist Sora zuweilen. Sicherlich ist zu argumentierten, dass nicht überdachte Schlüsse Teil des pubertären Charakters sind, doch könnte sich die Geschichte je nach weiteren Wendungen als vermeidbares Drama entpuppen. Tagame stellt nicht ausschöpfend dar, inwiefern Mitschüler Yoshioka tatsächlich negativ über Homosexuelle denkt. Entsprechend könnte es sich hierbei um eine fälschliche Interpretation handeln, welche wiederum sehr formelhaft wäre.
Die Erzählgeschwindigkeit könnte für die Fortsetzung minimal zulegen. Gerade da die Reihe nur drei Bände umfasst, könnte möglicherweise den späteren Entwicklungen zu wenig Raum geboten sein. Dies bleibt allerdings abzuwarten – ebenso, inwiefern sich das Storytelling im weiteren Verlauf verbessert.
Fazit
Sicherlich ist der Manga nicht schlecht, doch sind unsere Erwartungen nach Kenntnis des vorangegangenen Werks von Gengoroh Tagame, Der Mann meines Bruders, wohl zu hoch angesetzt gewesen. Der Titel ist spürbar um Tiefe bemüht, doch wirken sich die zahlreichen bekannten Elemente anderer Geschichten möglicherweise negativ auf das Lesevergnügen einiger Fans aus.
Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass Unsere Farben wohl eher als Einstieg in LGBT-Thematiken empfehlenswert ist. Ob die Reihe mit den beiden Fortsetzungen auch eine erfahrene Leserschaft – oder zumindest unsere nun reduzierten Annahmen – final zu überzeugen beziehungsweise zu erfüllen weiß, bleibt abzuwarten. Der nächste Teil erscheint kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember, auf Deutsch.
Mittels der hier bereitgestellten kostenfreien Leseprobe kannst du selbst in das Innere des ersten Bandes schauen. Im stationären Handel ist es zudem möglich, in das Buch hineinzuschauen, da es nicht eingeschweißt ist. Dort kannst du zudem die qualitative Produktion in Bezug auf die haptisch-betonte Außenseiten des Mangas persönlich in Augenschein nehmen.
Abschließend bedanken wir uns bei Carlsen Manga für die Zurverfügungstellung einer Kopie des Werks, welche diese ehrliche Review unsererseits für dich ermöglicht. Bitte bedenke, dass die oberhalb geschilderte Meinung lediglich die subjektive Einstellung des zuständigen Redakteurs ist.