Interview mit altraverse – das erste Halbjahr 2022, Ressourcenknappheit und „Ride-On King – Der ewige Reiter“
Das erste Halbjahr 2022 nähert sich schon dem Ende entgegen. Anlässlich dessen haben wir altraverse-Verlagsleiter Dr. Joachim Kaps zum Interview eingeladen. Dabei hatten wir unter anderem Gelegenheit, mit ihm über die aktuellen Marktentwicklungen, verschiedene Verlagsprojekte sowie Ride-On King – Der ewige Reiter, Boys Love und kommende Conventions zu sprechen.
Nachfolgend werden wir Herrn Dr. Joachim Kaps mit Jo und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Jo und wie immer vielen Dank für deine Zeit.
Jo: Auch hallo! Und immer wieder gerne. 😊
MP: Wie lief das vergangene Jahr für euch als altraverse?
Jo: Großartig wäre eine Untertreibung. Wir haben alle unsere Ziele sehr deutlich übertroffen, was unserem jungen Verlag nicht nur finanzielle Planungssicherheit gibt, sondern auch neue Möglichkeiten eröffnet. Wir loten derzeit noch aus, wie wir diese Möglichkeiten im Sinne unserer Strategie am besten nutzen können. Wir wollen auch weiterhin eher durch Qualität als durch Quantität punkten, das will in die richtige Balance gebracht werden.
MP: Anfang 2022 war bereits klar, dass 2021 eines der besten Jahre für den Markt war. Lässt sich dieser Trend auch 2022 verfolgen?
Jo: Der Trend setzt sich grundsätzlich weiter fort, aber mit etwas schwächerer Dynamik. Nach fünf Monaten vermeldet Media Control erneut ein Plus von 62 %, was natürlich noch immer enorm ist, auch wenn der Zuwachs schwächer ausfällt als in 2021. Aber das Jahr ist ja noch nicht vorbei.
MP: Was waren im ersten Halbjahr 2022 eure Bestseller? Welche Titel könnten deiner Meinung nach ein wenig mehr Aufmerksamkeit vertragen – und warum?
Jo: Unsere Seller waren:
- Solo Leveling
- BJ Alex
- Meine Wiedergeburt als Schleim in einer anderen Welt
- Im Namen der Meerjungfrau
- Tokyo Aliens
- Mein Isekai-Leben – Mit der Hilfe von Schleimen zum mächtigsten Magier einer anderen Welt
- Boy's Abyss
- Verliebt in mehr als dein Gesicht
- On or Off
- Rooster Fighter
Eigentlich sind wir mit der Aufmerksamkeit für unser Programm zufrieden.
Ich verstehe nur nicht, warum sich Nicht schon wieder, Takagi-san! und Lust auf ein Date? nicht noch viel besser verkaufen. Beide Serien sind nämlich fantastisch! 😊
KARAKAI JOZU NO TAKAGI-SAN Vol. 1 by Soichiro YAMAMOTO © 2014 Soichiro YAMAMOTO / SHOGAKUKAN.
TSUKIATTE AGETEMO II KANA Vol. 1 by Tamifull © 2019 Tamifull / SHOGAKUKAN.
MP: Ihr seid bekanntlich immer wieder am Expandieren. Wie viele Mitarbeiter:innen sind inzwischen bei altraverse festangestellt? Plant ihr, im Laufe von 2022 weitere Stellen auszuschreiben?
Jo: Wir empfinden uns offen gestanden gar nicht als so expansiv, aber vielleicht wirkt das von außen anders. Aktuell liegen wir bei 28 Mitarbeiter*innen. Das sind natürlich mehr als die vier, die damals mal die Startmannschaft gebildet haben. Aber es sind auch deutlich weniger als bei großen Schlachtschiffen wie Carlsen, Egmont oder Panini. Und wir haben ganz sicher nicht vor, auch zu einem Schlachtschiff zu werden, weil man ab einer bestimmten Größe auch unbeweglicher wird. Ein paar Stellen werden wir aber auch in diesem Jahr noch schaffen und sind hier bereits in konkreten Gesprächen.
THE RIDE-ON KING © 2019 Yasushi Baba. / Kodansha Ltd.
MP: Mit Blick auf die Ukraine-Situation habt ihr entschieden, die Veröffentlichung von Ride-On King – Der ewige Reiter zu pausieren. Kannst du trotz allem ausschließen, dass ihr die Reihe in Zukunft abbrechen werdet?
Jo: Die Lage mit Ride-On King ist kompliziert. Der Autor hat in mehreren Interviews ausgeführt, dass er die Serie ausdrücklich nicht als Glorifizierung des russischen Diktators verstanden wissen will, das galt für ihn auch vor Ausbruch des Krieges so. Allerdings haben uns die Reaktionen aus dem Handel gezeigt, dass das nicht von allen so verstanden wird. Das führt uns in ein gewisses Dilemma, weil wir nicht jedem einzelnen verkauften Buch dabeistehen und seinen Inhalt kommentieren können. Aber die Serie abzubrechen halte ich auch für keine gute Lösung, weil ich ein überzeugter Anhänger der freien Äußerung der Kunst bin. Wir werden in absehbarer Zeit eine Entscheidung hierzu treffen.
MP: Anfang April habt ihr zehn aus Südkorea importierte Resin-Figuren zu On or Off über euren Webshop verkauft. Soweit wir das gesehen haben, waren diese innerhalb weniger Augenblicke weg. Gibt es mit Blick auf diesen Erfolg also bereits Pläne, das Angebot dahingehend auszubauen?
Jo: Wir hatten ja schon vor dem Test mit der On or Off-Figur Pläne für eine eigene Figurenproduktion, so ist ja unter anderem auch die 2,30 m große Sacrecrow-Figur entstanden. Es wird daher ganz sicher auch weitere Figuren bei uns geben. Ich finde, dass die Magie beim Sprung von 2D auf 3D immer etwas besonderes ist, daher beschäftigt uns das Thema grundsätzlich sehr.
MP: Wenn man eure wöchentlichen Manga-Charts anschaut, tauchen dort On or Off und BJ Alex öfter auf – das Boys-Love-Genre scheint also durchaus sehr gefragt zu sein. Wie kommt es, dass nun aber seit längerer Zeit keine neuen japanischen Titel aus dem Segment bei euch angekündigt werden?
Jo: Das hat zwei Gründe: Zum einen gibt es bei Egmont, TOKYOPOP und Hayabusa bereits breite Angebote japanischer BL-Serien. Der Markt wird ja nicht bunter, wenn wir das noch mal kopieren. Und zum anderen finden wir tatsächlich auch, dass sich ein Teil der japanischen BL-Produktion in eine gewisse Sackgasse gefahren hat und immer wieder selbst reproduziert. Neuerdings dann in Omegaverse-Varianten, die aber auch nur immer alte Erzählmuster wiederholen. Dass BJ Alex und On Or Off zu den erfolgreichsten BL-Serien im Markt zählen, hat auch damit zu tun, dass die koreanischen Autor*innen die Freiheiten der Plattformen nutzen, um die ständige Wiederholung des Genres zu durchbrechen. Das macht sie für uns interessant, das galt so ja auch schon für In these Words. Wir werden daher eher mit solchen Stoffen ausbauen und stehen da bereits auch in sehr interessanten Gesprächen. Wir wollen, das unsere BL-Titel spannender, komischer und überraschender sind als der Rest des Angebots auf dem Markt.
© A1 2019 / D&C WEBTOON Biz | © 2017 Mingwa
MP: Papierknappheit und Lieferengpässe belasten nach wie vor die gesamte Branche. Einige Verlage haben in Folge bereits Preiserhöhungen angekündigt. Müssen Fans damit bei euch im Laufe des Jahres ebenfalls rechnen?
Jo: Auf Dauer werden Manga nicht das einzige Produkt im Markt sein können, das über 20 Jahre immer den gleichen Preis hat. Wir spüren alle, dass derzeit alles teurer wird, dem können Manga sich nicht entziehen. Da wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben und keine Wasserköpfe in unserer Struktur finanzieren müssen, können wir Veränderungen in unserer Preisstruktur aber in Ruhe und maßvoll planen.
MP: Aktuell verschieben sich größtenteils eure Eigenproduktionen und Titel mit Box-Ausgaben. Wird dies in Zukunft noch schlimmer werden, was schätzt du?
Jo: Unser Hauptproblem ist derzeit nicht unbedingt das Papier, sondern es sind die Pappe und komplexere Produktionen mit vielen Bausteinen und vielen Verarbeitungsschritten. Daher betreffen die meisten Verschiebungen eben genau diese Sonderausgaben. Da gerade unsere Eigenproduktionen mit vielen Sonderausgaben aufwarten, trifft es die in besonderem Maße. In vielen Fällen liegt das Buch bereits gedruckt im Lager, wir warten aber auf eine Schachtel oder einen Verarbeitungsslot beim Buchbinder. Da wir aus der Community aber auch das Feedback bekommen, dass die Fans unsere hochwertigen Collectors Editions sehr schätzen (und sie sich auch sehr gut verkaufen), glauben wir, dass 1 – 2 Monate Wartezeit für so besondere Ausgaben in Kauf genommen werden können. Wir arbeiten dennoch ständig daran, den Stau zu beseitigen.
Im Grunde geht es dem europäischen Markt aber hier noch relativ gut. Ich habe die Tage mit einem meiner alten Weggefährten aus den USA gesprochen, der derzeit 9 – 10 Monate Wartezeit in der Druckerei hat, wenn er Produkte plant. Davon sind wir dank des Einsatzes unserer Partner beim Druck noch sehr weit entfernt.
MP: Ihr wart kürzlich auf der DoKomi anzutreffen. Könnt ihr bereits sagen, welche weiteren Messen für dieses Jahr auf eurem Plan stehen? Ist angedacht, für spätere Messen eventuell auch einen Ehrengast aus Fernost einzuladen oder ist das aufgrund der aktuellen Lage weiterhin unwahrscheinlich?
Jo: Wir werden die Gamevention in Neumünster, die AnimagiC in Mannheim und die Connichi in Kassel bespielen, wenn die Welt es zulässt. Nach Rücksprache mit unseren Partnern in Asien werden wir internationale Gäste aber erst 2023 wieder einplanen. Zum Glück sind aber auch unsere Signierstunden mit unseren Mangaka aus Deutschland, Österreich und der Schweiz so gut besucht, dass am Stand genug Trubel herrschen wird. 😊
MP: Euer #altralive-Stream startete im März 2020 als Alternative zur abgesagten Leipziger Buchmesse, mittlerweile gibt es schon 50 Ausgaben. Da nun langsam die Messen wieder stattfinden können, fragen wir uns, wie ihr weiter mit dem Format umgehen werdet – werdet ihr die Streams wie gewohnt beibehalten, reduzieren oder möglicherweise ganz zurückfahren?
Jo: Darüber reden wir derzeit. Wir alle lieben unser altralive-Format, es war aber natürlich auch immer eine Menge Arbeit on top auf den normalen Arbeitsalltag. Das sind die Veranstaltungen auch, und nun kommt der Manga Day noch dazu, bei dem wir uns sehr in Planung und Logistik engagieren, während andere Verlage den Vertrieb übernommen haben. Daher müssen wir einfach schauen, was wir stemmen können und was nicht. Ich muss persönlich gestehen, dass zwei Jahre Corona mit all den zusätzlichen Aufgaben, die entstanden sind, schon an meinen Kräften gezehrt haben. Wir werden sicher nach den ersten drei Veranstaltungen eine Zwischenbilanz ziehen, wie es langfristig weitergeht.
MP: Das letzte Mal hast du mit einem „Kikeriki!“ dezent auf die Veröffentlichung beziehungsweise Lizenzierung von Rooster Fighter hingewiesen. Hast du diesmal womöglich wieder einen kleinen Hinweis für die Zukunft, den du mit unseren Leser:innen teilen würdest?
Jo: Das kann ich gerne machen. Splish-Splash!
MP: Vielen Dank für das Interview.
Jo: Wie zu Beginn gesagt: immer wieder gerne. 😊