Review zum Abschlussband von Taiyo Matsumotos „Sunny“
Carlsen Manga! hat im September 2020 mit der Veröffentlichung von Sunny begonnen. Inzwischen liegt das Finale der melancholischen Geschichte vor. Nachdem wir den Deutschland-Release von Taiyo Matsumotos wohl persönlichster Reihe bereits seit Anfang an begleiten, schildern wir im Folgenden unsere Eindrücke zum Ende.
Hierzulande ist der Abschlussband von Sunny Ende Mai im Handel erschienen. Neben einem extradicken Gesamtumfang von rund 260 Seiten wartet der sechste Band zu Beginn wieder mit mehreren Farbseiten auf. Der Hamburger Verlag veröffentlicht den Manga als großformatige Klappenbroschur mit einer naturpapierartigen Außenhaptik, diese ist beispielsweise von Titeln wie Folge den Wolken nach Nord-Nordwest und Magus of the Library bekannt. Das für die Innenseiten verwendete Papier ist angenehm dick und weiß. Diese überdurchschnittliche Produktionsqualität spiegelt sich im Preis von 16,00 € pro Band entsprechend wider.
Inhaltsbeschreibung
Im Star Kids leben mehrere Jungen und Mädchen auf engstem Raum in ärmlichen Verhältnissen zusammen. Die beschauliche Heimeinrichtung nimmt sich verlassener Kinder an, deren Eltern aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht mehr in der Lage sind, Fürsorge und Verantwortung für ihre Nachkommen zu übernehmen.
Das Kinderheim ist bemüht, trotz der unglücklichen Gegebenheiten allen ein gutes und würdiges Leben zu ermöglichen und sie zu aufrichtigen Erwachsenen zu erziehen. Doch die Kinder sind mit tiefgreifenden Sorgen konfrontiert, die selbst von dem engagierten Personal trotz aller Bemühungen nicht vollumfänglich aufgelöst werden können und in Folge immer wieder der Grund für Reibereien sind.
SUNNY 6 by Taiyo MATSUMOTO © 2011 Taiyo MATSUMOTO / SHOGAKUKAN.
Der weißhaarige Haruo ist das wohl größte Problemkind der Gruppe. Er ist frech, treibt sich herum und schwänzt darüber hinaus immer öfter die Schule – die Nachbarschaft ist besorgt und bedrängt den Heimleiter, endlich eine Lösung für das Verhalten zu finden. Herr Adachi weiß, dass Haruo eigentlich ein lieber Junge ist und möchte alles ihm Mögliche tun, um den Pubertierenden in die richtigen Bahnen zu lenken.
Während sich das Personal des Star Kids noch über die nächsten Schritte in Bezug auf Haruo Gedanken macht, plant dieser eine eigene Reaktion auf seine innere Unzufriedenheit. Schon seit längerem sind ihm die vielen Lastkraftwagen aufgefallen, die von ganz Japan aus herkommen. Tokyo, wo seine Mutter lebt, zieht den Jungen geradezu magisch an. Der clevere Sei durchschaut Haruos Vorhaben und beschließt, ihn zu unterstützen …
Visualisierung
Nicht nur durch seine Inhalte, sondern auch mit seinem nahezu einzigartigen Zeichenstil setzt sich Taiyo Matsumoto von Mainstream-Manga gezielt ab. Die visuelle Umsetzung erfreut sich einer Reihe besonderer Techniken. Während die Außenlinien sichtlich frei Hand gezogen sind, ist eine Art Radiertechnik zur weiteren Ausgestaltung genutzt. Das Ganze verleiht den Illustrationen einen kindlich-verspielten Look, der zu Sunny hervorragend passt. Gleichzeitig ist nicht an Details gespart – im Gegenteil: Die Reihe ist voll von zu entdeckenden Einzelheiten.
Das angelegte Charakterdesign ist ebenfalls recht speziell, es ist bewusst überspitzt, aber gleichzeitig als eindeutig menschlich zu identifizieren. Trotz all dieser Eigenarten wirkt das Werk auf uns überraschend realitätsnah, dieser Eindruck ergibt sich wohl vor allem in Kombination mit der Handlung und dem angebundenen Storytelling.
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Band 06 weist eine gute Bild-Text-Balance auf. Zusammen mit der sortierten Seitenaufteilung ist damit ein hervorragender Lesefluss geboten. Die großflächigen Panels und die fein ausgearbeiteten Darstellungen im Hintergrund laden gelegentlich zum Verweilen ein. Für Kunstinteressierte außerhalb der Manga-Bubble hält die vorliegende Bebilderung sicherlich ebenfalls einige spannende Eindrücke parat.
Um selbst einmal in das Innere der Reihe zu schauen, bietet Carlsen Manga! eine kostenlose Leseprobe an. Die frei verfügbare Pressemappe beinhaltet ebenfalls verschiedene Zeichnungen, die eine grobe Idee von dem zuvor Beschriebenen vermitteln. Darüber hinaus kann im Handel vor Ort behutsam reingeblättert werden – die großformatigen Bücher sind nicht eingeschweißt.
Über Taiyo Matsumoto
Taiyō Matsumoto, geboren 1967, bedient in seinen Werken ein breites Themenspektrum. Seine Titel bewegen sich zwischen Science-Fiction-Epen, Familiengeschichten und Sportabenteuern. In seiner Studienzeit an der Wako Universität trat Taiyō Matsumoto dem Comic-Seminar bei. Seine Entscheidung, Mangaka zu werden, begründet er mit dem Einfluss seines Cousins und bekannten Mangaka Inoue Santa wie auch mit seiner Faszination an Ôtomo Katsuhiros Manga „Dômu“ („Das Selbstmordparadies“, Alpha Comics). Matsumoto brachte keinerlei Vorkenntnisse mit und lernte die Techniken von Grund auf.
Seinen ersten Manga konnte er dennoch bereits während seiner Studierendenzeit im „Afternoon“-Magazin publizieren. Der Durchbruch gelang Matsumoto 1994 mit „Tekkon Kinkreet“, die Sammelbände verkaufen sich in Japan über eine Million Mal. Auf Deutsch erschien die mit dem Eisner Award ausgezeichnete Serie 2019 im Cross Cult Verlag. Seine Werke werden bis heute regelmäßig ins Englische, Französische und Spanische übersetzt. Im Stil des japanischen Mangazeichners finden sich viele europäische Einflüsse. Zu seinen Vorbildern zählt Matsumoto Miguelanxo Prado, Enki Blal und Moebius.
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Ähnlich wie Jiro Taniguchi („Der spazierende Mann“, Carlsen) bewegt sich Matsumoto erzählerisch und zeichnerisch jenseits des Manga-Mainstreams, doch seine internationale Fangemeinde ist groß. Sicher auch dank seines unkonventionellen und häufig auch surrealen Zeichenstils. (© Carlsen Verlag GmbH)
Fazit
Nachdem in den vorherigen Bänden im Wesentlichen jeweils ein Kind des Star Kids als eine Art Hauptfigur herausgegriffen und separat behandelt wurde, führt Band 06 diese einzelnen Fäden zusammen. Ein besonderer Fokus liegt dabei aber weiterhin auf Haruo, der von Anfang an eine prominente Rolle in der Geschichte eingenommen und das Werk damit gewissermaßen zusammengehalten hat.
Aus inhaltlicher Perspektive entspricht der Abschluss im Wesentlichen unseren Erwartungen, vereinzelt fanden sich beim Lesen der letzten Kapitel schon entsprechende Hinweise. Bei der erzähltechnischen Heranführung sind wir allerdings zwiegespalten. Durch einen Zeitsprung von acht Monaten entwickelt sich die Handlung Richtung Ende für unseren Geschmack zu schlagartig weiter.
Unter Berücksichtigung der vorangegangenen Andeutungen erscheint dieser Weg zwar durchaus passend gewählt, es fehlt in Folge aber auch ein Stück des Geschehens – hier ist die Leserschaft quasi gezwungen, eigene Mutmaßungen über die Entwicklungen in der Zwischenzeit anzustellen. Wir hätten uns gewünscht, dass der Handlungsbogen um Haruo stattdessen zum Schluss noch etwas ausgeweitet worden wäre. Insbesondere das vorletzte Kapitel hätte unserer Meinung nach das Potenzial gehabt, den Höhepunkt der gesamten Reihe darzustellen. Außerdem hätten wir gerne noch mehr von anderen Kindern erfahren, vieles verbleibt relativ offen.
8 Bilder
Trotz dem leicht übereilten Finale hat uns Sunny insgesamt außergewöhnlich gut gefallen. In den einzelnen Episoden schwang stets etwas Melancholisches mit – mal mehr und mal weniger subtil, aber stets auf bestimmte Art wahrnehmbar. Die Schicksale um die Kinder des Star Kids haben uns tief berührt und zum Nachdenken angeregt. Einige Sub-Plots sind noch Tage nach dem Lesen im Kopf geblieben. Das gelingt nur wenigen Werken überhaupt und spricht für die meisterhafte Inszenierung.
Die Zeichnungen von Taiyo Matsumoto sind bekanntermaßen eigentümlich, gerade dadurch ergibt sich unserer Ansicht nach aber ein besonderer Reiz. Selbst nach sechs Bänden Sunny fasziniert uns der in dieser Form wohl nahezu einzigartige Stil noch immer. Der gesamte Titel ist ein Ausbruch aus dem Mainstream, aber dennoch vergleichsweise einfach zugänglich. Prinzipiell steht die Erzählung einem breiten Publikum offen. Interessierte sollten sich daher nicht scheuen und einen Versuch wagen, sich auf das Setting und vor allem den Zeichenstil einzulassen.
Mit der gebotenen Aufmachung setzt Carlsen Manga! dem Ganzen das sprichwörtliche i-Tüpfelchen auf. Sowohl die großformatige Klappenbroschur als auch die ausgewählte Papierqualität und die Naturpapieraußenseite verleihen der Geschichte das verdiente Gewand. Der Preis von 16,00 € pro Band erscheint uns sehr fair. Wir freuen uns schon jetzt darauf, Sunny irgendwann noch einmal zu lesen und dabei wahrscheinlich noch viele weitere Details zu entdecken.
Abschließend bedanken wir uns herzlich bei Carlsen Manga! für das unverbindliche Zusenden eines Belegexemplars.