Interview mit Gou Tanabe – Mangaka der „H.P. Lovecraft“-Adaptionen
Wir hatten die besondere Ehre, ein umfangreiches Interview mit Mangaka Gou Tanabe zu führen. Thema waren unter anderem die Entstehung der H.P. Lovecraft-Adaptionen sowie seine Arbeit an den Werken. Auch der US-amerikanische Originalautor findet Erwähnung.
Wir möchten uns sowohl bei Carlsen Manga! für die Möglichkeit als auch bei dem japanischen Verlag KADOKAWA, der das Interview genehmigt hat, herzlich bedanken. Unser großer Dank für die Beantwortung der Fragen und die damit verbundene Zeit gilt zudem auch Tanabe-sensei selbst. Nachfolgend werden wir Gou Tanabe mit Tanabe-sensei und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Tanabe-sensei und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen.
MP: Unserer Leserschaft sind Sie vor allem durch die verschiedenen Lovecraft-Kurzgeschichten bekannt. Zum Einstieg möchten wir Sie daher gerne nach dem Autor der Originalvorlagen fragen: Was verbinden Sie persönlich mit Howard Phillips Lovecraft?
Tanabe-sensei: Früher assoziierte ich mit Lovecraft etwas Düsteres, Gruseliges und Schattenhaftes.
Als ich mich durch Social Media, Bücher und andere Medien informiert habe, hat sich mein Eindruck jedoch verändert. Jetzt verbinde ich mit Lovecraft eine ehrliche, gläubige, loyale Person, die unterhaltsam ist und viel Wert auf Freunde beziehungsweise Freundschaft legt.
MP: Würden Sie uns darüber hinaus Ihre ersten Berührungspunkte mit Lovecraft schildern? Wie kam es außerdem dazu, dass Sie nun viele seiner Werke als Manga veröffentlichen?
Tanabe-sensei: Herr Yoshinori Iwai, Redakteur bei Comic Beam, KADOKAWA, hat mich mit den Werken Lovecrafts vertraut gemacht. Nach der ersten Lektüre dachte ich: Das ist echt der Hammer! So bin ich Fan geworden.
Mir kam der Gedanke, dass ich die Werke Lovecrafts gern als Bilder sehen, als Manga lesen würde. So stellte ich mich der Herausforderung, sie als Manga zu zeichnen. Diese Gefühle haben sich bis heute nicht geändert.
MP: Gehen Sie bei den Lovecraft-Adaptionen in einer bestimmten Reihenfolge vor?
Tanabe-sensei: Die Reihenfolge legt immer mein Redakteur fest. Natürlich dürfen die bekannten Reihen nicht fehlen, es wird aber auch darauf geachtet, die Kurzgeschichten sowie andere Texte in den Komplex zu verweben, um die Leser besser an die seriellen Werke heranzuführen.
MP: Sie haben bereits verschiedene Geschichten von Lovecraft in Manga-Form gebracht. Inwiefern würden Sie sagen, dass Sie dabei mittlerweile eine Routine entwickelt haben? Was fällt Ihnen (inzwischen) leicht, was stellt Sie (weiterhin) vor Herausforderungen?
Tanabe-sensei: Die Arbeit läuft vollständig routiniert ab. Mit dem Rohentwurf eines Kapitels und Low-Poly-3D-Modellen erstelle ich die Skizzen. Auf deren Grundlage füge ich Inking, Schattierungen, Texturen, Highlights, Sprechblasen und Outlines zusammen. Dank der digitalen Umgebung hat sich die Effizienz beim Arbeiten verbessert. Die fein gezeichneten Hintergründe und Details werden kopiert und eingefügt.
Bevor ein Manga serialisiert wird, erstelle ich viele Hintergründe sowie andere Materialien auf einmal, auf die ich dann beim Zeichnen der Hintergründe des Mangas zugreife.
MP: Ihre Zeichnungen sehen atemberaubend aus. Wie und mit welchen Materialien arbeiten Sie?
Tanabe-sensei: Ich zeichne mit Stift auf Tonpapier und benutze dabei Fotos, Photoshop sowie Programme für 3D-Modelle. Darauf aufbauend verwende ich eine Software namens Comic Studio und stelle damit die Zeichnungen fertig.
Im Gegensatz zu der Komposition, die auf Fotos und 3D-Modellen basiert, zeichne ich das Licht sowie die Linien sorgfältig und besonders realistisch, ohne Verzerrungen zu erzeugen. Es ist vielleicht keine besondere Technik, aber den Aspekt, dass ich den Realismus anstrebe, könnte man als eine Besonderheit bezeichnen.
MP: Wie erwähnt, haben Sie schon zahlreiche Werke von H. P. Lovecraft als Manga umgesetzt. Aktuell arbeiten Sie an Das Grauen von Dunwich. Was zeichnet die Arbeit an dieser Novelle für Sie im Besonderen aus?
Tanabe-sensei: Vielleicht ist es nichts Besonderes.
Da ich nicht an den Ort gehen kann, der als Vorlage für die Novelle diente, habe ich nach einem ähnlichen Ort in Japan gesucht. Ich bin immer wieder dort hingegangen, um die Atmosphäre zu fühlen, habe Fotos geschossen und diese abgepaust.
Ich sammelte die Materialien mit dem Gedanken, die Atmosphäre in die Zeichnungen und Fotografien einzuschließen, sodass man sie möglichst auf der Haut fühlen kann.
MP: Welchen Lovecraft-Titel würden Sie Ihren Favoriten nennen – und warum?
Tanabe-sensei: Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath ist wohl mein Favorit.
In diesem Werk kommen auch Charaktere sowie Orte aus seinen anderen Werken vor. Der Protagonist Carter ist 30 Jahre alt, genauso wie ich vor 17 Jahren, als ich mich in die Geschichten Lovecrafts verliebt habe. Ich denke gern an das Gefühl einer Jugend, die an irgendeiner Stelle besonders ist. Das ist der Grund.
MP: Lovecraft gilt zwar als Vater des Cthulhu-Mythos, doch auch andere Autoren, zu denen er teilweise engen Briefkontakt pflegte, haben das Universum rund um die Großen Alten und das Genre des Cosmic Horror maßgeblich geformt. Ist geplant, sich beispielsweise auch den Beiträgen von Robert W. Chambers, Ambrose Bierce oder Robert E. Howard zu widmen?
Tanabe-sensei: Das ist bisher nicht geplant.
MP: Gibt es andere Literatur-Klassiker, die Sie in Zukunft gern als Manga adaptieren würden? Haben Sie dazu möglicherweise bereits konkrete Pläne?
Tanabe-sensei: Es gibt zwar noch keine konkreten Pläne, aber ich würde eines Tages gern Ice von Anna Kavan als Manga lesen.
MP: Möchten Sie Ihrem deutschsprachigen Publikum zum Abschluss noch etwas mitteilen?
Tanabe-sensei: Lovecraft-Fans aus Deutschland, ich bin ebenfalls ein Lovecraft-Fan.
Auch heute werde ich mich auf die Reise in die Welt Lovecrafts machen und mit der Arbeit am Manga beginnen.
Ich bin sehr glücklich, dass ihr meine Manga lest. Herzlichen Dank dafür.
MP: Danke für das Interview.