Interview mit Egmont-Manga-Programmleiter Michael Cheng – Rückblick 2022, „Chainsaw Man“ und ein Ausblick auf 2023
Passend zum Jahresanfang durften wir ein ausführliches Interview mit Egmont-Manga-Programmleiter Michael Cheng führen. Thema sind unter anderem ein Rückblick auf 2022, die Bestseller des Verlags, Limited Editions, der neue Manga von Daniel Eichinger sowie ein kleiner Ausblick darauf, was für 2023 geplant ist.
Nachfolgend werden wir Michael Cheng mit Michael und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Michael und vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für uns.
Michael: Immer gerne.
MP: Ganz allgemein: Wie lief es 2022 für euch? Inwiefern seid ihr mit der aktuellen Entwicklung zufrieden gewesen? Wo seht ihr noch offenes Potenzial?
Michael: 2022 hat auf das erfolgreiche Vorjahr noch mal einen draufgesetzt. Ich hätte es kaum für möglich gehalten, aber es sind noch mehr Leser:innen dazu gekommen und es wurden noch mehr neue Geschichten veröffentlicht als im Jahr 2021, das ja immerhin bis dahin als Boom-Jahr schlechthin galt. Wir sind daher sehr zufrieden mit der Entwicklung. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob wir Verlage es schaffen, dieses Wachstum nachhaltig zu sichern, indem wir den Manga-Markt in all seinen Genres spannend halten.
MP: Welche Reihen liefen am besten? Welche könnten aus deiner Sicht etwas mehr Aufmerksamkeit vertragen – und warum?
Michael: Besonders gut liefen dieses Jahr die Neuauflage unseres Klassikers Ranma ½ und More than a Doll – neben den üblichen Verdächtigen Chainsaw Man, Detektiv Conan, Given und your name.
Ich würde mir wünschen, dass noch ein paar mehr Leute zu Mixed-up First Love greifen. Denn das ist ein herrlich unkonventioneller, superlustiger und echt gut gezeichneter Romance-Manga.
MP: Die Überraschung war groß, als ihr die deutschsprachige Erstausgabe von Mila Superstar angekündigt habt. Inzwischen sind alle vier Bände der Luxury Edition im Handel. Ihr habt bereits in der Vergangenheit erklärt, dass die Reihe gut gestartet sei. Hat sich das bis zum Ende fortgesetzt? Und ist damit weiteren Klassikern der Weg geebnet?
Michael: Um ehrlich zu sein, der erste Band lief deutlich besser als die Folgebände. Aber die Serie bleibt trotzdem ein Erfolg für uns. Das hätte man noch vor ein paar Jahren einem solchen Klassiker nicht zugetraut. Wir bleiben daher unserer Linie treu und werden auch weiterhin mal tief in der japanischen Manga-Truhe wühlen.
MP: Zur Freude vieler Fans habt ihr dieses Jahr Inu Yasha einen Nachdruck spendiert und sogar Ranma ½ und Mermaid Saga eine Neuauflage spendiert. Wieso habt ihr euch gerade jetzt für diesen Schritt entschieden?
Michael: Wir haben ja seit Längerem die Stimmen aus der Community gehört, die sich einen Nachdruck von Inu Yasha wünschten. 2022 waren wir dann endlich in der Lage, diesem Wunsch nachzugehen. Auch wenn zu dem Thema schon viel gesagt wurde, ich will noch einmal zwei Dinge unterstreichen. Erstens: Wir sind sehr daran interessiert, was die Community so umtreibt und haben immer ein offenes Ohr für Fanwünsche. Und zweitens: Diese sind aber eben auch nur ein Faktor in der Entscheidungsmatrix, die dann schlussendlich zu einer Veröffentlichung bzw. zu einem Nachdruck führt. Denn natürlich muss sich so eine Produktion auch wirtschaftlich und rechtlich sinnvoll umsetzen lassen. Letztes Jahr haben dann einfach viele Dinge zusammengepasst, sowohl von Produktions- und Lizenzgeberseite als auch die ungebrochene Nachfrage.
MP: Bei Kyokai no Rinne veröffentlicht ihr neue Bände aktuell in Dreier-Bundles. Könnt ihr schon abschätzen, wie ihr mit den vier danach verbleibenden Bänden verfahrt? Werden diese vielleicht in einem Vierer-Bundle zusammengefasst?
Michael: Das kann ich leider noch nicht endgültig bestätigen, aktuell denken wir sowohl über ein Vierer-Bundle als auch noch über zwei Zweier-Bundles nach. Welches es wird, werden wir dann mit der Programmankündigung bekanntgeben – voraussichtlich im April.
MP: Ihr spendiert Homunculus eine Neuausgabe. Würdet ihr uns verraten, was für euch bei der Lizenzierung ausschlaggebend war? Warum zieht ihr in diesem Fall eine Neuausgabe gegenüber einem Nachdruck vor?
Michael: Für die Lizenzierung waren zwei Dinge ausschlaggebend. Erstens gibt es nach wie vor ein paar sehr treue Fans der Serie, obwohl der erste Band ja vor mehr als fünfzehn Jahren bei uns rausgekommen ist. Die Erstausgabe von Homunculus Anfang der 2000er hat sich damals eher mäßig verkauft, aber trotzdem hat sich die Begeisterung für die Serie in einer kleinen Kerngruppe jahrelang gehalten. Wir wussten, dass wir auf diese Fans bauen können. Zweitens hatten wir das Gefühl, dass die Serie ihrer Zeit etwas voraus war. Der Manga-Markt war damals noch viel kleiner und es hatte sich noch keine Lesergruppe für Horror herausgebildet. Jetzt gibt es eine größere Gruppe Horror-Manga-Fans und die hat die Ankündigung für Homunculus begeistert aufgenommen.
Für die Neuausgabe gab es auch zwei Gründe. Wir fanden die Cover ziemlich geil und wollten die definitiv nutzen. Das war wiederum von Lizenzgeberseite daran gebunden, dass wir auch die Bandaufteilung der japanischen Neuausgabe übernehmen. Wir haben uns dann darauf eingelassen, weil wir dadurch neue Innenteildaten bekommen, die im Druck sicher hervorragend aussehen werden.
MP: Wie kam es bei euch zu der Entscheidung, gerade jetzt mit Nichijou – Das ganz normale Leben zu starten? (Und bei wem müssen wir uns dafür bedanken?)
Michael: Bedanken dürft ihr euch gerne bei der gesamten Redaktion, schlussendlich bereden wir jeden Titel immer im Kollektiv und treffen auch unsere Entscheidungen gemeinsam. Als wir Anfang des Jahres noch mal reingelesen haben in Nichijou, waren wir schnell alle Feuer und Flamme. Wir hatten uns die Serie noch mal angeschaut, weil ja Ende 2021 in Japan, nach der sechs Jahre andauernden Pause, endlich wieder neue Kapitel erschienen. Jetzt sind wir sehr gespannt, wie viele andere Leute ebenso begeistert sein werden.
MP: Mit Jovantore veröffentlicht ihr 2023 auch einen Manga von Daniel Eichinger. Könnt ihr hier inzwischen konkrete Details zum Release enthüllen? Werden in Zukunft wieder mehr deutschsprachige Projekte bei Egmont Manga laufen?
Michael: Wir freuen uns mega auf den Manga von Daniel, aber Details dazu enthüllen wir erst, wenn alles zu Ende besprochen ist. Ihr müsst euch leider noch etwas gedulden, aber keine Sorge, nicht mehr allzu lang. Zur zweiten Frage: Ja, wir wollen mehr deutschsprachige Projekte veröffentlichen. Es gibt eine starke hiesige Manga-Szene und mit der wollen wir zusammenarbeiten.
MP: Beim Boys-Love-Genre sind für das neue Programm viele Einzelbände geplant und nur eine zweiteilige Reihe. Woran liegt es?
Michael: Daran, dass wir schon einige Serien im Programm haben und immer etwas aufpassen müssen, dass wir flexibel und ausgewogen bleiben. Machen wir nur Serien, wird das Programm etwas träge und wir können nicht mehr so schnell auf neue Veröffentlichungen aus Japan reagieren. Aber aktuell sollten BL-Serien-Liebhaber:innen ja mit den noch laufenden Serien BL Forever, Sasaki & Miyano, Given, I Can’t Stand Being Your Childhood Friend, Black or White, Happy of the End und Come to Where the Bitch Boys Are ganz gut bedient sein.
MP: Bei kürzeren Reihen setzt ihr im neuen Programm auf Doppelbände, wie bei Detektiv Conan – Wild Police Story und Fluch des Frühlings. Wird das in Zukunft die Norm bei euch?
Michael: Nein, das wird nicht die Norm und hängt immer vom Projekt ab.
MP: Chainsaw Man ist wohl nicht erst seit dem Anime ein absoluter Kassenschlager bei euch. Für den zwölften Band habt ihr bereits eine Limited Edition angekündigt. Plant ihr, zu dem Titel zukünftig öfters ein Extra oder eine Special Ausgabe zu machen?
Michael: Bisher steht nur fest, dass wir eine Limited Edition zu Band 12 und nur eine normale Ausgabe zu Band 13 machen. Zu den Folgeprogrammen kann ich jetzt noch nichts sagen.
MP: Passend dazu: Wie entscheidet ihr euch, wozu ihr eine Special Edition veröffentlicht?
Michael: Zuallererst muss es einmal genügend Fans geben, die eine solche Ausgabe auch kaufen würden. Dann brauchen wir 'ne gute Idee für ein Extra, das auch zu der Serie passt und bezahlbar ist. Und drittens – und daran scheitern immer wieder Ideen – einen Lizenzgeber, der unsere Idee genauso gut findet und die Produktion erlaubt.
MP: In den vergangenen Jahren habt ihr auch den ein oder anderen Roman herausgegeben. Möchtet ihr das Thema in Zukunft wieder weiter angehen? Wie ist das bisherige Feedback zu den Novel-Veröffentlichungen ausgefallen?
Michael: Ja, wir bleiben dem Thema treu. Wir finden, dass Romane eine gute Ergänzung zu unserem Programm sind, und sie bieten uns einige Möglichkeiten, die wir mit einer reinen Manga-Veröffentlichung nicht haben. Wir können Manga und Roman bspw. gegenseitig bewerben, wir sprechen damit außerdem Fans an, die vielleicht bisher noch nie Manga gelesen haben und letztlich ist die Bearbeitung eines Romans aus redaktioneller Sicht auch immer eine interessante, herausfordernde Aufgabe.
Und Romane können auch sehr erfolgreich sein. Wir hatten sehr gutes Feedback zu unseren Makoto-Shinkai-Novels. your name. ist nach wie vor eine unserer stärksten Veröffentlichungen, sowohl als Manga als auch als Roman.
MP: Dieses Jahr fanden neben der DoKomi erstmals wieder mehrere Messen statt. Wisst ihr bereits, auf welchen Conventions ihr 2023 vertreten sein werdet? Dürfen sich Fans in diesem Zusammenhang auf (japanische) Ehrengäste bei euch freuen?
Michael: Wir planen aktuell einen Auftritt in Leipzig, auf der AnimagiC und auf der DoKomi. Eventuell kommen noch ein oder zwei dazu. Welche Gäste wir bei uns am Stand haben werden, erfahrt ihr dann auf unseren Kanälen, wenn die jeweilige Messe näher rückt.
MP: Welche Titel sind eure/deine persönlichen Highlights für 2023?
Michael: Ich freu mich schon sehr auf Goodbye, Eri und auf Nichijou. Goodbye, Eri zeigt einfach die enorme Bandbreite vom Chainsaw Man-Autor Tatsuki Fujimoto. Und Nichijou trifft mit seinem schrägen Humor genau meinen Geschmack.
MP: Habt ihr schon konkrete Pläne für 2023, die ihr kommunizieren könnt? Worauf dürfen sich Fans bei Egmont Manga freuen?
Michael: Erstmal freu ich mich sehr auf die Leipziger Buchmesse im April. Den ersten Band von Nichijou werden wir dann schon am Stand dabeihaben und den ersten des neuen Chainsaw Man-Arcs. Und überhaupt, endlich ist mal wieder Buchmesse in Leipzig: 100.000 Menschen, die auf Manga stehen, das wird super!
Das ganze Sommerprogramm wird auch spannend für uns, weil wir viel guten Horror-Content herausbringen werden (Homunculus, Die Blutprinzessin, Bad Girl Exorcist Reina), wieder hervorragenden BL im Programm haben (2nd Virgin, My Dear Agent etc.), und im September kommt dann unser Redaktionsliebling Destiny of the Mushrooms.
Und zu guter Letzt: Ein sehr großes Highlight dieses Jahr wird, dass wir endlich mehr zu Daniel Eichingers neuem Manga-Projekt verraten können. Daniels Zeichnungen sind einfach nicht von dieser Welt, seine Geschichte ist der Wahnsinn und ich bin sehr gespannt drauf, wie das alles aufgenommen wird.
MP: Hast du zum Abschluss ein paar Worte an unsere Leser?
Michael: Akemashite omedetou alle zusammen!