Interview mit Tsumuji Yoshimura – Mangaka von „The Gender of Mona Lisa“
Passend zur Veröffentlichung der letzten beiden Bände von The Gender of Mona Lisa durften wir mit Mangaka Tsumuji Yoshimura ein Interview über die Entstehung des Werkes führen. Außerdem waren ihre Anfänge und ihre Arbeit als Mangaka sowie die Bedeutung der türkisen Farbelemente innerhalb der Reihe Thema.
Wir möchten uns sowohl bei Hayabusa für die Gelegenheit als auch bei dem japanischen Verlag Square Enix, der das Interview genehmigt hat, herzlich bedanken. Unser großer Dank für die Beantwortung der Fragen und die damit verbundene Zeit gilt zudem auch Mangaka Tsumuji Yoshimura selbst. Nachfolgend werden wir Tsumuji Yoshimura mit Yoshimura-sensei und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo, Yoshimura-sensei. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview mit uns nehmen!
Yoshimura-sensei: Ebenfalls vielen Dank für diese Gelegenheit! Freut mich sehr.
MP: Wollten Sie schon immer Mangaka werden und wie sind Sie dazu gekommen? Erzählen Sie uns bitte von Ihren Anfängen.
Yoshimura-sensei: Als ich in der Grundschule war, konnte der Junge, der vor mir saß, sehr gut Manga zeichnen, und ich fing an, es ihm nachzumachen. Es ist schwer zu sagen, ab wann meine Anfänge gelten … aber erst als Studentin habe ich ernsthaft versucht, Mangaka zu werden, indem ich Manuskripte gezeichnet habe. Und obwohl ich mit meinem Studium, meinen Manuskripten und meinem Nebenjob beschäftigt war, glaube ich, dass ich meine Zeit damals besser einteilen konnte, um das Manuskript zu zeichnen, als heute.
MP: Im Nachwort von Band 01 schreiben Sie, dass die ursprüngliche Idee zu The Gender of Mona Lisa in einer Fantasy-Welt spielte. Gab es zu diesem Zeitpunkt Hinase, Shiori und Ritsu schon oder wurden diese erst später (komplett neu) entworfen?
Yoshimura-sensei: Nachdem die Entscheidung gefallen war, mein vorheriges Werk zu beenden, dachte ich vor dem Schlafengehen darüber nach, was ich als Nächstes zeichnen möchte. Mir fielen als Erstes die Zeilen „Ich mache dich zum Mann“ und „Ich mache dich zur Frau“ ein. Weil diese Zeilen eine große Wirkung haben, dachte ich, das passt …? Ich überlegte mir, dass die Hauptfigur geschlechtslos sein soll … und im Grunde genommen wäre eine solche Welt interessant … das habe ich immer weiter ausgebaut, und dann waren die drei geboren.
MP: Hatten Sie schon von Anfang an im Kopf, wie die Hauptreihe enden soll? Und waren die Zusatzbände X und Y in diesem Zusammenhang eine spontane Entscheidung – oder vielmehr schon länger geplant?
Yoshimura-sensei: Das Ende stand größtenteils schon zu Beginn fest. Ich dachte nicht, dass einer der Wege das, was ich vermitteln wollte, adäquat wiedergeben könnte. Ich wollte meinen Leserinnen und Lesern vermitteln, dass Hinase sich nicht verändern wird, egal welches Geschlecht Hinase hat und in wen sich Hinase verliebt (oder eben nicht verliebt). Dieses Ende war jedoch nur möglich, falls das Werk von vielen Leuten unterstützt und weiter fortgesetzt werden würde. Für den Fall, dass die Verkaufszahlen schlecht gewesen wären und ich es nicht bis zum Ende hätte zeichnen können, hatte ich mit dem verantwortlichen Redakteur besprochen, es so zu beenden, dass Hinase stirbt … Letztendlich bekam ich die Chance, dass mein Werk auch in Übersee gelesen wird, und dank der Unterstützung meiner Leser:innen konnte ich für Hinase und die anderen ein Happy End zeichnen. Ich kann euch nicht genug danken. Vielen Dank!
MP: Türkis ist eine tragende Farbe innerhalb des Mangas, die sogar mit farbigen Elementen betont wird. Wie kam es zu dieser Entscheidung und welche Bedeutung hat die Farbe?
Yoshimura-sensei: Unter der Prämisse, dass dieses Werk in einem Webmagazin veröffentlicht werden sollte, dachte ich, dass es gut wäre, die Möglichkeiten optimal zu nutzen und ein irgendein Element als Aufhänger zu schaffen, um das Werk einprägsam zu machen.
Mir kam der Gedanke, dass es eine gute Idee wäre, eine Farbe hinzuzufügen. Also kolorierte ich das Manuskript, das ich damals auf Papier zeichnete, mit Aquarellfarbe und reichte es ein. Türkis hat in diesem Werk unterschiedliche Bedeutungen, aber ich wollte die verschiedenen Emotionen zum Ausdruck bringen, die während der Pubertät empfunden werden und von denen sich viele nur schwer in Worte fassen lassen. Ich habe mich für Türkis entschieden, da mein erster Eindruck von der Mona Lisa (dem Gemälde), als ich sie das erste Mal sah, türkis war.
Außerdem wird im Japanischen die wunderbare Jugendzeit mit dem Frühling des Lebens verglichen und „Seishun"* genannt, welches das Schriftzeichen für „Blau“ enthält. Ich wollte, dass diese Geschichte ein Werk ist, das mit guten und traurigen Erinnerungen, Sorgen und Konflikten und all den wunderbaren Dingen, die die Jugend ausmachen, gefüllt ist. Deshalb dachte ich, dass Türkisblau auch in diesem Sinne gut passen würde. Zudem war wichtig, dass die Farbe beim Lesen nicht zu grell für die Augen ist und das Leseerlebnis nicht beeinträchtigt wird.
*Anm. der Redaktion: „Seishun“ bedeutet auf Deutsch „Jugendzeit“ und setzt sich aus den Schriftzeichen für „Blau“ und „Frühling“ zusammen.
MP: Das Thema der Identität ist schwierig zu fassen. Wie haben Sie dazu recherchiert?
Yoshimura-sensei: Das ist eine sehr schwierige Frage. Obwohl ich mich vor der Veröffentlichung der Reihe mit diesem Thema beschäftigt habe, indem ich Bücher und andere Quellen studiert habe, habe ich, um ehrlich zu sein, keine Interviews geführt. Ich glaube nicht, dass ich diese Frage so einfach beantworten kann. Ich habe so gut es ging versucht, nicht aus der Perspektive der realen Welt, sondern vom Blickwinkel der Welt dieses Werkes über die Probleme jedes Einzelnen als Hinase, als Ritsu und als Shiori nachzudenken – wie diese Person denken würde, mit welchen Problemen sie konfrontiert wäre und wie sie die Antworten finden würde. Natürlich glaube ich nicht, dass die Antworten, die ich mir in diesem Manga ausgedacht habe, unbedingt richtig sind. Aber ich glaube, ich habe jede der Antworten gezeichnet, über die jede der Figuren intensiv nachgedacht hat und auf die sie gekommen ist. Wenn ich etwas antworten muss, würde ich sagen, dass es sich angefühlt hat, als hätte ich tagein, tagaus mit den Charakteren Interviews geführt.
MP: Schildern Sie uns bitte, wie ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aussieht. Gab es bei The Gender of Mona Lisa einen besonderen Arbeitsablauf bis zur Fertigstellung eines Kapitels?
Yoshumira-sensei: Vorweg muss ich sagen: Es gibt keine Routine, über die ich mit viel Stolz berichten kann … Ich stehe um etwa 10 Uhr auf, frühstücke und lasse meinen Vogel (ein Rosenköpfchen, sehr niedlich!) frei, während ich das Futter wechsle und sauber mache. Danach gehe ich, wenn das Wetter und meine Laune es zulassen, etwa eine Stunde spazieren. Wenn ich zurückkomme, bereite ich die Arbeit vor, um die ich meine Assistent:innen bitten werde. Dann, ab 13 Uhr, beginne ich mit der Arbeit und genieße es, mit den Assistent:innen zu reden und zu arbeiten. Die Assistent:innen beenden ihre Arbeit um 22:30 Uhr mit einer Essenspause dazwischen. Ich arbeitete bis circa 24:00/1:00 Uhr weiter, inklusive der Vorbereitung für die Arbeit am nächsten Tag. Dann nehme ich ein entspanntes Bad, dehne meine Muskeln und gehe gegen 3:00/4:00 Uhr ins Bett. Ich weiß nicht, ob es etwas Besonderes ist oder nicht, aber ich bin normalerweise eine ziemlich energiegeladene Person. Als ich anfing, so am Manuskript zu arbeiten, wurden die Charaktere zwangsläufig fröhlich und das passte nicht zur Atmosphäre des Werkes. Um der Atmosphäre gerecht zu werden, spielte ich anfangs nur traurige und wehmütige Lieder als Hintergrundmusik und schaffte es so, meine Gefühle beim Zeichnen zu dämpfen. Nach einer Weile war dies nicht mehr notwendig, da ich mich an die Stimmung in dem Werk gewöhnt hatte.
MP: Welche Wirkung hat Leonardo da Vincis Mona Lisa auf Sie? Waren Sie gegebenenfalls selbst schon einmal im Pariser Louvre, um sich das Gemälde vor Ort anzusehen?
Yoshimura-sensei: Ich habe die Mona Lisa nur ein einziges Mal gesehen. Als ich als Studentin für eine Weile in Frankreich studierte, konnte ich sie das erste Mal sehen. Ich erinnere mich noch immer daran, dass sie kleiner war, als ich es mir vorgestellt hatte, aber dieser Bereich innerhalb des Louvre majestätisch war und eine andere Atmosphäre hatte. Ich denke, dass Isawas Louvre-Besuch in Band 7 viele meiner Eindrücke von damals widerspiegelt.
MP: Kürzlich haben Sie Ihr 10-jähriges Jubiläum als Mangaka gefeiert. Welche Momente Ihrer Karriere sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Was haben Sie sich für die Zukunft noch vorgenommen?
Yoshimura-sensei: Ich freue mich, dass ich dank eurer Hilfe zehn Jahre lang weitermachen konnte! In der Grundschule gab es einen Manga, der mir am besten gefiel und der mich dazu inspirierte, Manga zu zeichnen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir, dass zufälligerweise das Erscheinungsdatum meiner Taschenbuchausgabe auf den gleichen Tag mit dem neuesten Werk des Mangakas von eben jenem Manga fiel und ich mich gefreut habe, wie beide Bücher in der Buchhandlung nebeneinander lagen. Auch an die Signierstunde zu meinem ersten Werk erinnere ich mich sehr gut. Ich hoffe natürlich, dass ich in Zukunft noch interessantere Manga zeichnen kann und mein Leben als Mangaka fortsetzen kann, ohne dabei meine Gesundheit zu vernachlässigen und ohne den Spirit, mich neuen Herausforderungen zu stellen, zu vergessen.
MP: Haben Sie zum Abschluss ein paar Worte an Ihre deutschsprachigen Fans?
Yoshimura-sensei: Ich freue mich sehr, dass mein Werk auch im weit entfernten Deutschland gelesen wird! Ich hoffe, dass meine Leserinnen und Leser in Deutschland diese Geschichte bis zum Ende genießen werden und dass der Lebensweg, den sie von nun an einschlagen, mit viel Glück gesegnet sein wird. Danke, dass Ihr bis hierher gelesen habt!
MP: Vielen Dank für das Interview, Yoshimura-sensei!
Yoshimura-sensei: Vielen Dank auch!!