Besprechung zu Jimmy Liaos „Die Sternennacht“
Jimmy Liao gehört zu den bekanntesten Künstlern Taiwans. 2003 wurde er vom STUDIO VOICE-Magazin zu einem der „55 kreativsten Köpfe Asiens“ gewählt, darüber hinaus inspirierte sein Schaffen bereits zahlreiche Ausstellungen und Adaptionen. Hierzulande sind vier seiner „Kinderbücher für Erwachsene“ bei Chinabooks auf Deutsch erschienen. Im Folgenden besprechen wir Die Sternennacht.
Der besagte Einzelband ist bereits seit mehreren Jahren auf dem Markt, jedoch fast ausschließlich auf Bestellung erhältlich. Interessierte können das Werk sowie die weiteren Veröffentlichungen von Chinabooks entweder über den verlagseigenen Webshop, verschiedene Online-Anbieter oder auf direkte Nachfrage im Handel vor Ort beziehen. Für Letzteres empfiehlt es sich gegebenenfalls, die ISBN 978-3905816693 bereitzuhalten.
Zum Preis von 22,90 € wird eine großformatige Klappenbroschur mit den Maßen 18,9 × 26,1 cm geboten. Die deutschsprachige Ausgabe besticht mit einer hervorragenden Qualität, die unterschiedliche Papiersorten und Drucktechniken in sich vereint. Am Anfang und Ende ist jeweils eine Doppelseite, deren Oberfläche speziell texturiert ist. Eine weitere Seite im Verlauf der Geschichte lässt sich zudem nach links und rechts ausklappen. Der mit einer Art reflektierenden Regenbogen-Folie veredelte Originaltitel 星空 rundet die Produktion ab.
Inhaltsbeschreibung
Die namenlose Protagonistin hat bis zu ihrem sechsten Lebensjahr bei den Großeltern in den Bergen gelebt. Nach dem Tod der Großmutter ist sie zu ihren Eltern in die große, ihr fremde Stadt gezogen. Mutter und Vater streiten sich oft, Freunde hat das Mädchen nicht. Als ihr geliebter Opa nach schwerer Krankheit ebenfalls stirbt, isoliert sie sich weiter – um auf eigene Art und Weise Abschied zu nehmen.
Eines Nachts entdeckt sie auf dem Dach des Nachbarhauses einen Jungen. Als käme er von einem fremden Planeten, liegt er still unter dem gerade herunterrieselnden Schnee. Genau jenes Kind stößt mit dem neuen Jahr ihrer Klasse hinzu. Er, ebenso schweigsam und in sich gekehrt, ist ein Einzelgänger, der in der Schule gemieden wird. Durch Zufall begegnet sie dem Gleichaltrigen öfter. Ein gewisser Vorfall macht die beiden schließlich miteinander bekannt.
Daraufhin verbringen die zwei immer mehr ihrer Freizeit miteinander. Eine Reihe von Ereignissen führt wenige Zeit später zu einer drastischen Entscheidung: Sie reißen von zuhause aus. Ihr Weg führt sie in eine kleine Hütte inmitten der unberührten Natur. Dort rudern sie auf einen ruhigen See hinaus, über ihnen erstreckt sich der klare Sternenhimmel, wie er in der lichtdurchfluteten Stadt niemals zu sehen ist. Allerdings sollen die gemeinsamen Momente nur von kurzer Dauer sein …
Visualisierung
Jimmy Liaos Die Sternennacht setzt sich aus einzelnen Bildern zusammen, die sich jeweils über eine gesamte (Doppel-)Seite erstrecken. Eine seiteninterne Panelaufteilung wie bei Manga ist hier also nicht gegeben, außerdem sind alle Zeichnungen in Vollfarbe. Durch den großflächigen Aufbau ist reichlich Raum für Details – und das wird genutzt, auch für Verweise auf Weltkunst. Im Hintergrund wird beispielsweise auf van Goghs Sternennacht sowie auf verschiedene Gemälde von René Magritte Bezug genommen.
Stilistisch zeichnet sich das Werk durch eine kindlich anmutende Darstellung sowie die intensive Kolorierung aus. Damit wird Bilderbuch-Charme geweckt. Mit übernatürlichen Aspekten, etwa einem fliegenden Bus und einem roten Drachen, wird eine inneliegende Fantastik aufgebaut, die die kreative Gedankenwelt der jungen Schülerin zusätzlich unterstreicht.
3 Bilder
Interessierte können sich mittels der gezeigten Innenseiten sowie dem unten eingebundenen Promovideo einen ersten Eindruck von der beschriebenen Bebilderung verschaffen. Weitere Arbeiten von Jimmy Liao sind zudem auf der Autorenseite des Künstlers einzusehen. Vor dem Kauf im Handel kann in der Regel nicht reingeblättert werden, da der Titel zum Schutz vor Beschädigungen eingeschweißt ist.
Fazit
Die Bezeichnung „Kinderbuch für Erwachsene“ ist durchaus zutreffend. Aus optischer Sicht mag Die Sternennacht zwar verspielt erscheinen, dahinter verbirgt sich allerdings merkliche Inhaltstiefe. Autor und Zeichner Jimmy Liao fordert sein Publikum dabei auf, aktiv mitzudenken und eigene Interpretationen anzulegen.
Trotz des philosophischen Untertons ist der Erzählung, natürlich in Abhängigkeit der individuellen Aufmerksamkeit, gut zu folgen – hier wurde sich nicht unsinnig verkünstelt. Die wenigen Texte entsprechen Schilderungen aus der Sicht der namenlosen Protagonistin, wodurch ihre Gefühlswelt transparent aufgetragen wird. Mehrere (Doppel-)Seiten kommen selbst ohne Erklärungen aus. Diese gefallen uns im Besonderen.
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Durch den großflächigen Seitenaufbau ist die Lesedauer zwar recht überschaubar, nicht aber der von der Handlung ausgehende Nachklang. Die Sternennacht ist eine Erzählung, die den eigenen Geist beschäftigt und somit längerfristig im Gedächtnis verbleibt. Wer sich für Kunst dieser Art zu begeistern weiß, ist, wie wir finden, hervorragend beraten. Die ausgezeichnete Papier- und Druckqualität der deutschsprachigen Ausgabe tragen maßgeblich zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis des Kleinverlags bei. Dennoch ist der Release bei 22,90 € vor allem ein Liebhaber-Werk – eines, das sich zu lesen lohnt.
Abschließend bedanken wir uns herzlich bei Chinabooks für die Zurverfügungstellung eines Belegexemplars.