Wunderbar: Review zum „Unsere Farben“-Abschlussband
Bereits seit vergangenem Jahr begleiten wir die deutschsprachige Veröffentlichung von Gengoroh Tagames Unsere Farben – im letzten Oktober legten wir unseren Ersteindruck zu der Trilogie vor. Wir waren nicht überzeugt, auch der zweite Band vermochte dies nicht vollumfänglich zu ändern, wie an dieser Stelle hinterlegt. Dennoch bleiben wir dem Manga bis zum Abschluss treu und haben auch das Finale für euch gelesen – und berichten im Nachfolgenden über unsere Eindrücke.
Wie bereits Tagames Prestige-Werk Der Mann meines Bruders erscheint auch Unsere Farben als Großformat mit Karton-Haptik. Außerdem besticht die deutsche Ausgabe mit einem dickeren Papier. Dieses hat einen Gelbstich – das ist in diesem Fall aber keine Alterserscheinung. Zwar enthält auch der letzte Band keine Farbseiten, jedoch ist die Innenseite des Front- und Backcovers mit einem vereinfachten Motiv bedruckt.
Carlsen Manga! veröffentlicht die als Special kategorisierte Reihe zu einem Preis von 10,00 € pro Band auf Deutsch. Außerdem wird eine digitale Fassung für je 4,99 € angeboten. Sowohl die gedruckten Bücher als auch die E-Books sind bereits frei im Handel erhältlich.
Handlung und Erzählweise
Oberschüler Sora ist homosexuell – und es belastet ihn. Obwohl seine beste Freundin Nao davon weiß, fühlt sich der Jugendliche in seiner Persönlichkeitsentwicklung gefangen. Er hält seine Sexualität geheim, da er negative Reaktionen seitens der Gesellschaft – hier insbesondere in Form seiner Eltern und Klassenkameraden – fürchtet.
Mit Shiro hat er im ersten Band einen angejahrten Café-Besitzer kennengelernt, der ebenfalls dem eigenen Geschlecht zugeneigt ist und für Sora schnell zu einer Art Vertrauensperson wird. Der gemeinsame Austausch gibt dem Schüler Kraft, er fühlt sich verstanden. Diese gute Beziehung, die rein freundschaftlicher Natur ist, bekam zuletzt einen Sprung, als mit Yuko eine neue Figur das kleine Lädchen in der Küstenregion betrat und erklärte, die (Noch)-Ehefrau Shiros zu sein..
Sora war entsetzt, denn davon hörte er das erste Mal. Daraufhin hat er sich zurückgezogen und das Café seitdem nicht mehr betreten, der von Shiro gegebene Halt scheint zu zerbrechen. Sora fühlt sich betrogen, ist enttäuscht. Im weiteren Verlauf, der mit dem dritten Band einsetzt, reflektiert der Oberschüler das zuletzt Geschehene sorgfältig.
Parallel trifft Kindheitsfreundin Nao auf jene Ehefrau und erfährt von ihr mehr über die Hintergründe der Hochzeit, auch Shiro öffnet sich mit zunehmendem Handlungsfortschritt. Die Geschichte wird aus verschiedenen Sichtweisen zusammengefügt, insbesondere die perspektivische Darstellung der beiden weiblichen Figuren verleiht der Erzählung einen besonderen Tiefgang.
Zugleich liegt ein besonderer Fokus auf der Thematik des Outings, also der Handlung, die eigene (Homo-)Sexualität gegenüber anderer zu offenbaren. Für Betroffene, wie Sora, ist dieser Akt des „Herauskommens“ auch in der heutigen Welt, in Japan wie Deutschland, noch ein Anliegen. Dieser schwierige Schritt im Leben vieler Queer-Teenager wird glaubwürdig dargestellt, wenngleich der Prozess – und das ist unsere persönliche Empfindung – zu simpel inszeniert wird. Im Rahmen der vergleichsweise geringen Gesamtkapitelanzahl ist das allerdings angepasst.
Auch darüber hinaus bringt Mangaka Gengoroh Tagame verschiedene Aspekte des Lebens queerer Menschen ein, in denen sich einige Ingroup-Mitglieder bestimmt erkennen werden – auch das Nachfühlen entsprechender Gegebenheiten ist aufgrund der natürlichen Form des Storytellings möglich. Dass der Autor selbst homosexuell ist und um die quälenden Umstände weiß, ist dem vorliegenden Werk unbestreitbar zu entnehmen.
Der dritte Band von Unsere Farben bildet in der Tat den Höhepunkt der geschilderten Ereignisse, ist zugleich aber nur ein Teilausschnitt aus dem Leben von Sora. Gerade da das Ende hervorragend mit dem Beginn der Geschichte, auf welchen innerhalb des letzten Kapitels dezent referiert wird, in unmittelbarem Zusammenhang steht, erscheint der Manga rund. Das Ende ist offen, aber zugleich auch nicht. Es ist stimmig.
Zeichenstil
Oberflächlich gesehen erscheint die Visualisierung ein wenig blass, doch unterstützt dies zugleich die Atmosphäre des Titels. Es ist das Normale, das gewöhnliche Leben, das von Gengoroh Tagame dargestellt wird. Dieses eigentlich Alltägliche bedarf keiner besonderen Hervorhebung, es gewinnt durch die inneliegende Erzählweise an Bedeutung.
Die Charakterdesigns der männlichen Akteure sind nicht androgyn, sondern „maskulin“ gehalten. Damit orientiert sich der Gay Artist tendenziell an dem ihm vertrauten Bara-Segment. Auf wenig oder nicht bekleidete, behaarte Männer wurde verzichtet. Stattdessen setzt der Mangaka auf Bildsprache – so setzt er das Coming-out mit dem Auseinanderbrechen einer Maske dar. Auch die Notwendigkeit, sich immer wieder im Verlauf des Lebens „outen zu müssen“, fasst Tagame gekonnt in eine Zeichnung mit verschiedenen Türen.
An dieser Stelle ist eine umfangreiche Leseprobe auf Japanisch hinterlegt – diese umfasst 80 Seiten und vermittelt somit einen guten Eindruck in den beschriebenen Zeichenstil. Alternativ kann auch im Handel vor Ort in den Manga hineingeblättert werden, da keiner der drei Bände eingeschweißt ist. Bei dieser Gelegenheit kann auch die kartonartige Haptik ertastet werden.
Fazit
Der Manga beschränkt sich in seiner Erzählung auf das erste Oberschuljahr von Protagonist Sora und behandelt innerhalb der drei Bände einen der wichtigsten Aspekte der menschlichen Persönlichkeitsentwicklung – das Selbstverständnis der eigenen Sexualität, das Leben und Erleben von dieser. Selbstredend ist dies ein schrittweiser Prozess, den Mangaka Gengoroh Tagame trotz der recht limitierten Platzverhältnisse gelungen behandelt.
Trotz anfänglicher Skepsis gegenüber dem Titel ist abschließend zu versichern, dass jene mit Interesse an Queer-Literatur gut mit der Unsere Farben-Trilogie beraten sind. Es handelt sich bei dem Manga nicht um einen stereotypischen Boys-Love-Manga, sondern um eine Geschichte mit inhaltlicher Tiefe. Auch visuell ist deutlich, dass es sich bei dem Werk in der Tat um ein Special handelt – unverkennbar ist der Zeichenstil Tagames, dessen Einflüsse aus dem Bara-Segment auch hier offenkundig sind. Dabei ist unbedingt hervorzuheben, dass die drei Bände inhaltlich ohne sexuelle Konnotation sind.
Abschließend bedanken wir uns herzlich bei Carlsen Manga! für die Zurverfügungstellung eines Belegexemplars, das diese ehrliche Auseinandersetzung mit dem Werk unverbindlich unterstützt.