Ersteindruck zu Osamu Tezukas „Die Geschichte der 3 Adolfs“
Vor wenigen Wochen haben wir bereits die Hardcover-Gesamtausgabe von MW in den Mittelpunkt einer Besprechung gerückt. Inzwischen ist mit Die Geschichte der 3 Adolfs ein weiteres Werk von Mangaka Osamu Tezuka auf Deutsch erschienen. Bei der Reihe handelt es sich um eine Neuausgabe der Adolf-Reihe. Wir haben uns den zum 22. März angelaufenen Release genauer angeschaut.
Das heutige Carlsen Manga! hat die Geschichte erstmals zwischen November 2005 und März 2007 herausgegeben. Für die vorliegende Neuausgabe werden die fünf Originalbände in drei großformatigen Sammelbänden als Klappenbroschur zusammengefasst. Band 01 zählt knapp über 410 Seiten, für die Produktion wurde merklich hochwertiges Papier verwendet – auch die Bindung macht einen sehr guten Eindruck. Als Preis sind 19,00 € angesetzt. Eine E-Book-Ausgabe wird nicht angeboten.
Inhaltsbeschreibung
Berlin im Jahr 1936, Nazi-Deutschland richtet gerade die Olympischen Spiele raus. Der Japaner Sohei Toge ist als Sportjournalist geladen und berichtet über den Verlauf der Wettkämpfe. Inmitten seiner Arbeit in Deutschland wird er von seinem jüngeren Bruder Isao, einem Studenten mit Verbindungen zu einer kommunistischen Vereinigung, angerufen und um ein Treffen gebeten. Er habe, so sagt er, wichtige Dokumente, die er ihm unbedingt anvertrauen möchte. Der Inhalt könnte Adolf Hitler, den Diktator an der Spitze des NS-Regimes, stürzen.
Obwohl der Reporter wegen der herrschenden Lautstärke nur wenig versteht, stimmt er einer Verabredung zu. Wegen unvorhergesehenen Verzögerungen ist es Sohei jedoch nicht möglich, die vereinbarte Zeit einzuhalten – etwas, das sich bitterlich rächt. Als er mit zwei Stunden Verspätung eintrifft, muss er feststellen, dass die Wohnung seines kleinen Bruders verwüstet wurde. Isaos Leiche hängt im Baum vor dem Wohnhaus, mit Spuren von Gips unter seinen Fingernägeln.
Als kurze Zeit später vermeintliche Polizeibeamte am Tatort eintreffen, um den Leichnam in das West-Revier zu transportieren, dieser dort aber nie ankommt, wird Sohei schlagartig bewusst, dass eine Verbindung zu den Nationalsozialisten bestehen muss – die Worte Isaos am Telefon kommen ihm wieder ins Gedächtnis. Außerdem erinnert er sich an einen Mordfall, den er vor rund einem halben Jahr im Auftrag seiner Zeitung begleitet hat, in Japan wurde eine junge Geisha tot im Wald aufgefunden – ebenfalls mit Rückständen von Gips an den Fingern.
Entgegen ausdrücklicher Order seiner Nachrichtenagentur nimmt der Journalist daraufhin eigene Ermittlungen in dem Fall auf. Sohei gerät im Folgenden unfreiwillig in die höchstgefährlichen Verstrickungen der verschiedenen Großmächte, zwischen aufeinanderprallende Ideologien inmitten eines sich anbahnenden zweiten Weltkriegs. Verschiedene Geheimdienste interessierten sich für die Dokumente aus dem Besitz seines Bruders …
Damit verbunden ist der Handlungsstrang um einen Nazi-Funktionär namens Kaufmann, der in Japan als Mitglied des Generalkonsulats eingesetzt ist. Gemeinsam mit seiner japanischen Frau hat er einen Sohn – Adolf Kaufmann. Dieser ist zum großen Ärger seines Vaters mit dem Sohn einer jüdischen Bäckersfamilie, Adolf Kamil, befreundet und hat kein Verständnis für den Rassenhass. Dieser Manga ist die Geschichte der drei Adolfs.
Visualisierung
Das Werk wurde ursprünglich von Januar 1983 bis Mai 1985 im Weekly Bunshun-Magazin von Bungei Shunjuu veröffentlicht, der Manga ist somit rund 40 Jahre alt – den Zeichnungen sieht man das natürlich an, dennoch ist der Stil alles andere als „schlecht gealtert“. Ähnlich wie in MW hat Osamu Tezuka überwiegend einen ernsten, erwachsenen Ausdruck angesetzt. Nur gelegentlich finden sich comictypische Einflüsse – etwa betont große Schritte, um die Eile während einer Flucht hervorzuheben.
Mit dünnem Strich sind die einzelnen Illustrationen gezogen. Das Ganze wirkt auf den ersten Blick minimalistisch, harmoniert aber hervorragend mit der realistisch angelegten Geschichte. Die Panelaufteilung ist kleinteilig gehalten, dadurch sind einzelne Bewegungsabläufe effektiv inszeniert. Ein typisches Merkmal, das die Optik des Mangakas auszeichnet – mitunter wirkt sich das auf den Lesefluss aus, in Die Geschichte der 3 Adolfs kann die gebotene Spannung dem jedoch entgegenwirken.
Im Sinne des zugrundeliegenden Settings ist die Swastika das zentrale Erkennungszeichen der Nationalsozialisten. Der Verlag hat das Symbol als zeithistorisches Erkennungszeichen unbearbeitet abgedruckt, die Ideologie des Dritten Reichs wird dabei selbstredend nicht verherrlicht – im Gegenteil, immer wieder zeigt Osamu Tezuka den Schrecken jener Zeit auf. Politische Verfolgungen sowie Folter bleiben nicht unerwähnt und werden auch auf der Bildebene aufgegriffen. Für den deutschsprachigen Release wurden die Seiten allerdings gespiegelt.
Herausgeber Carlsen Manga! stellt für alle Interessierten hier eine Online-Leseprobe bereit. Diese bietet die Möglichkeit, mit 50 Seiten fast das gesamte erste Kapitel kostenlos zu lesen und sich somit mit Setting und Zeichenstil vertraut zu machen. Alternativ kann im Handel vor Ort vorsichtig reingeblättert werden, der Sammelband ist nicht eingeschweißt.
Fazit
Der erste Band von Die Geschichte der 3 Adolfs deckt inhaltlich den Zeitraum von den Olympischen Spielen in Berlin bis zum Angriff auf Polen und die damit verbundene Eroberung von Warschau, also rund drei Jahre, ab. Mit dem Auftakt werden neben Adolf Hitler, der 1936 schon deutscher Reichskanzler war, auch die beiden anderen namensgebenden Figuren vorgestellt. Trotz aller Fiktion sind handlungstechnisch zahlreiche historisch belegte Begebenheiten eingearbeitet. Das verleiht dem Setting einen greifbaren Touch, stellt das Publikum je nach individueller Geschichtskenntnis womöglich aber auch vor gewisse Herausforderungen bei der Differenzierung dieser Aspekte.
Bereits im Verlauf der elf im vorliegenden Sammelband enthaltenen Kapitel zieht Mangaka Osamu Tezuka die einzelnen Erzählstränge schrittweise zusammen, schnell ergibt sich ein weit ineinander verstricktes Gesamtwerk. Ähnlich wie bei Naoki Urasawas Monster, an das uns Die Geschichte der 3 Adolfs auch darüber hinaus in verschiedenen Aspekten erinnert, liegt dem Titel offenbar ein äußerst durchdachtes Konzept zugrunde. Der Manga ist am besten als Kriminalgeschichte mit historischen Bezügen zu beschreiben.
3 Bilder
Die Gewalt und Ideologie der Nationalsozialisten wird fortlaufend verurteilt – zumindest implizit. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Freundschaft von Adolf Kaufmann, dem Sohn des deutschen Diplomaten in Japan, und Adolf Kamil, dem Sohn einer jüdischen Familie, interessant, denn sie gibt den beiden Jungen Anlass, die von den Nazis postulierte Rassenlehre kritisch zu hinterfragen.
Gleichzeitig verbirgt sich in der Reihe auch Kritik an der japanischen Politik. Der Angriff auf China, der sogenannte Zweite Japanisch-Chinesische Krieg sowie das Bündnis der Achsenmächte findet mehrfach prominent Erwähnung – Osamu Tezuka beschönigt die kriegstreiberische Rolle Japans, seiner Heimatnation, nicht.
Abschließend bedanken wir uns herzlich bei Carlsen Manga! für die Zurverfügungstellung eines Belegexemplars.